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Rechte Strategien in sozialen Medien – und wie linke und soziale Politik reagieren kann: Fakes, Feindbilder, Falschinformationen

Die ausgefeilten Strategien rechter Parteien und Gruppierungen im Internet sind ein vergleichsweise junges Phänomen. Ihre Vorgehensweisen sind eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft – und damit auch für linke und soziale Politik. Das Forschungsprojekt „Rechte Diskursstrategien gegen linke Politik in Social Media“ hat rund 7.700 ausgewählte Twitter-Accounts analysiert.

Seit ihrer Gründung 2013 hat zum Beispiel die AfD ihren Schwerpunkt sehr bewusst auf die Ansprache in sozialen Netzwerken wie Facebook, X (vormals Twitter), Instagram, TikTok und auch auf Messenger-Dienste wie WhatsApp gelegt. Nutzer:innen begegnen dort heute dem gesamten Repertoire populistischer Taktik: von der kurzen Desinformation bis zur großen Verschwörungserzählung. So deutete die AfD zum Beispiel die deutschen Massendemonstrationen gegen Rechts Anfang 2024 auf ihren Online-Kanälen gezielt um: entweder als gefakte Bilder oder als Proteste gegen die Ampel-Regierung. Beides waren handfeste Lügen, die eine komplette Gegenrealität entwarfen. Der Politikberater Johannes Hillje nennt die AfD auch wegen solcher Methoden eine „digitale Propagandapartei“.  Die Extremismusforscherin Julia Ebner spricht in diesem Zusammenhang von einer „absoluten Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit“.

Diese Taktik ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft – und damit auch für linke und soziale Politik. Das Forschungsprojekt „Rechte Diskursstrategien gegen linke Politik in Social Media“ (kurz ReDiSS) hat deshalb zwischen November 2021 und Mai 2022 bei rund 7700 ausgewählten Twitter-Accounts ganz genau hingesehen und folgende Fragen gestellt:

Die Wissenschaftler haben für ihre Suche nach rechten Bubbles auf Twitter ein computergestütztes Verfahren entwickelt. Sie schauten sich dann vor allem Sprache, Bilder und Botschaften in rechten Tweets an.  Das Ergebnis ergänzt die Forschung nun mit Details all dieser Kommunikationsformen inklusive Screenshots. In der Analyse zeigt sich ein Ausmaß an Strategie, das in der Öffentlichkeit möglicherweise noch unterschätzt wird. Nicht allein linke und gewerkschaftliche Gruppen sollten solche Taktik von rechts kennen, um wirksam reagieren zu können. 

Ein Blick in die rechten Online-Netzwerke 

Die „rechte Twittersphäre“ lässt sich im Zeitraum der Studie in sechs Gruppen aufteilen. Neben der Partei AfD gehört dazu zum Beispiel die Neue Rechte. Sie erscheint Forschenden teilweise als intellektueller Überbau für andere rechte Gruppierungen. Eng verbunden mit dieser Neuen Rechten ist das „Institut für Staatspolitik“ (IfS), das im Jahr 2000 in Schnellroda in Sachsen-Anhalt gegründet wurde. Der private Verein gilt der Bundeszentrale für politische Bildung als Denkfabrik für Positionen, die sich gegen eine liberale Gesellschaft richten. Prinzipien von Demokratie und Gewaltenteilung würden zum Beispiel verächtlich gemacht. Ein bekannter Name unter den IfS-Gründern ist der Verleger Götz Kubitschek. Ihm gehört auch der Antaios-Verlag, der rechtsgerichteten Autoren ein Forum bietet. Inzwischen stuft der Verfassungsschutz das IfS als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein.. Einige der in und mit der rechten Twittersphäre agierenden Gruppierungen sind nur im Internet vertreten, andere auch im realen Leben.

Beispiele für rechte Strategien in sozialen Medien wie Twitter (X)

Rechte Gruppierungen begreifen ihre Auftritte auf relevanten Social-Media-Plattformen grundsätzlich nicht als Ergänzung, sondern als Ersatz für Journalismus.  Es gehe ihnen darum, klassische Medien mit ihrer Wächter-Funktion und als „vierte Gewalt“ in einer Demokratie auszuhebeln, analysiert Johannes Hillje. Dabei spielt auch die gezielte Diffamierung der etablierten Medien eine große Rolle. «Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen», sagte Alice Weidel bereits 2018 in Interviews.

Gelernt haben deutsche Rechtspopulisten viele ihrer Methoden von Donald Trumps ehemaligem Berater Steve Bannon. Im Kern geht es darum, neben dem Internet auch die Medienlandschaft durch gezielte Provokationen in Wallung zu bringen, um so Aufmerksamkeit für sich zu erregen. Oft werden dabei emotionalisierende oder polarisierende Inhalte ausgespielt, die Empörung hervorrufen. Tabubrüche sind dabei wohl kalkuliert. Die „Vogelschiss“-Rhetorik des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, der damit versuchte, den Nationalsozialismus zu relativieren, folgt diesem Konzept.

Eine andere Methode ist es, Behauptungen, die kein Fünkchen Wahrheit enthalten, permanent auf vielen Kanälen zu wiederholen. Für diese Taktik steht zum Beispiel Wladimir Putin. Der US-Philosoph Harry G. Frankfurt hat viele dieser verschiedenen Strategien bereits 1986 in einem Essay mit dem treffenden Titel „On Bullshit“ beschrieben. Freundlich übersetzt heißt das: über Humbug. Dafür gibt es wiederkehrende Varianten, die miteinander verknüpft sein können: 

Gegenerzählung: Diese Taktik setzt nicht auf die Abbildung von Wirklichkeit, sondern auf gezielte Desinformation. Damit will sie oft Angst, Wut oder Empörung erzielen. Ein Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie. Eine Gegenerzählung rechter Gruppen lautet, dass es sie gar nicht gebe. Vielmehr habe die Pharmaindustrie sich die Pandemie aus Profitinteressen ausgedacht. 

Kapern von Sprache: Begriffe wie Arbeiter, Arbeiterpartei oder Arbeiterklasse werden traditionell mit links oder linker Politik in Verbindung gebracht. Rechte Gruppierungen versuchen jedoch gezielt, sich diese Begriffe für ihre Zwecke anzueignen und damit auf die eigenen Fahnen zu schreiben. Dahinter steht auch das Ziel, etablierten linken Parteien und Bewegungen ihre traditionelle Rolle als Vertreter der „kleinen Leute“ abzusprechen. In diese Richtung geht zum Beispiel auch die rechte Wortschöpfung „Solidarischer Patriotismus“ oder Kapitalismuskritik von rechts.

Rollentausch: Diese Taktik geht weiter als das reine Kapern von Begriffen. Es geht darum, linken Bewegungen oder linker Politik ihre traditionelle Rolle in der Gesellschaft abzusprechen, um sie dann von rechts zu besetzen.  Die soziale Frage, so lautet eine dieser Gegenerzählungen, interessiere die Linke ja gar nicht mehr. Dafür stehen in rechten Netzwerken dann oft diffamierende Ausdrücke wie „Altpartei“ oder die Attribute „ehemalige“, „selbsterklärte“ oder „einstige“.  Auch die Inszenierung der AfD als ausgewiesene Partei für den Frieden, die erst mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine begann, steht für diese Strategie: Es geht darum, die Grenzen zwischen den politischen Lagern gezielt zu verwischen. Die Verwirrung ist gewollt und ist mit darauf angelegt, Konflikte im linken Lager zu verstärken. Das gilt zu Beispiel auch für „vergiftetes Lob“ – wenn zum Beispiel rechte Aktivisten linke Positionen loben. Denn das wiederum kann Protest im linken Lager hervorrufen – der Vorwurf lautet dann manchmal „Kontaktschuld“.

Feindbilder: Sie werden konstruiert, um das „wir“-Gefühl im rechten Lager zu stärken. Zur stabilsten Feindbild-Rhetorik gehören die „Eliten“ in Staat, Kultur und Gesellschaft, die sich vermeintlich gegen das „Volk“ wenden. Die Welt wird in dieser Vorstellung in ein „wir“ und ein „die“ eingeteilt - wobei die rechten Gruppen definieren, wer zum „wir“ gehört. Migrant:innen sind davon fast immer ausgeschlossen und werden damit gezielt zu einem weiteren Feindbild stilisiert. Als variable Feindbilder können aber auch sprachliche Neuerungen wie zum Beispiel das Gendern dienen. Voll ausgebaut wird daraus eine vermeintliche Gender-Ideologie linker und liberaler „Eliten“, die es in der rechten Vorstellungswelt ohnehin zu bekämpfen gilt.

Was tun gegen rechte Taktik im Netz? 

Viele Beispiele aus der Untersuchung zeigen, dass rechte Online-Auftritte häufig kalkulierten Mustern folgen. Sie ist aber auch in der Lage, schnell und spontan auf Zufälle zu reagieren und mit koordinierten Kampagnen in sozialen Netzwerken ein Millionenpublikum zu erreichen. Ein Beispiel dafür war die erfolgreiche Umdeutung des regenbogenfarbenen liberalen Pride Month als Ausdruck der LGBTQ-Bewegung zum schwarz-rot-goldenen „Stolzmonat“ von rechts.

Das alles muss nicht hilflos machen. Je besser die Mechanismen rechter Online-Strategien analysiert und verstanden werden, desto wirksamer kann auch linke und soziale Politik darauf reagieren. Gegenstrategien müssen dabei jedoch genauso durchdacht sein. Denn reine Empörung im Netz kann die Reichweiten rechter Botschaften nur noch verstärken - es ist derselbe und oft kontraproduktive Reflex wie in der klassischen Medienlandschaft.

Johannes Hillje rät dazu, die Kommunikationstaktik des rechten Milieus nicht zu kopieren, sondern eine eigene, effektive und attraktive Ansprache von Menschen in sozialen Medien zu entwickeln – und zwar auf allen relevanten sozialen Plattformen im Internet. Das könne zum Beispiel eine WhatsApp-Gruppe für jeden Wahlkreis sein. Posts sollten vor ihrer Veröffentlichung auch keine langen Hierarchieketten durchlaufen, denn es gehe um die Bedürfnisse des Publikums - nicht um die der Absender.

Statt populistische Aussagen allein als moralisch verwerflich zu brandmarken, raten Forschende, sich lieber mit den Bedürfnissen zu beschäftigen, die sie scheinbar bedienen. Für Sozialwissenschaftler Tino Heim können dahinter reale gesellschaftliche Probleme und Konflikte sichtbar werden, die einer Antwort bedürfen – nur eben keiner, die von rechter Ideologie verzerrt ist. Für linke Politik gehe es dann darum, attraktivere Angebote zu machen. Und zwar inhaltlich und technisch genauso gekonnt in allen relevanten sozialen Medien, in denen das rechte Lager im Moment noch die Nase vorn hat.

Quellen:

Johannes Hillje zitiert nach: Die digitale Dominanz der AfD brechen!, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe Februar 2024 (Link archiviert, nicht barrierefrei)

Julia Ebner zitiert nach FAZ vom 1. Februar 2024 (Link archiviert, nicht barrierefrei) 

Alice Weidel zitiert nach Neue Zürcher Zeitung vom 9. Mai 2018 (Link archiviert)

Verfassungsschutz zum Institut für Staatspolitik (IfS) als gesichert rechtsextremistisch (Link archiviert)

Bundeszentrale für politische Bildung zu IfS (Link archiviert)