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Symbolbild 'Glossar Hintergrund', drei Personen mit Sprechblasen

Hintergrund: Was tun gegen rechte Strategien im Netz?

Rechte Kommunikationstaktik im Internet ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Politische Gegner wie Parteien, Gewerkschaft oder NGOs stehen vor noch größeren Fragen: Wie können sie angemessen reagieren? Eine Patentlösung gibt es dabei leider nicht. Doch allein schon das Wissen um rechte Strategien kann eine Antwort darauf erleichtern.

Diese Frage nach angemessenen praktischen Handlungsempfehlungen gegen rechte Diskurse in sozialen Medien ist keineswegs neu und es existieren vielfältige Versuche, adäquate Antworten zu formulieren. Dabei besteht das grundsätzliche Problem, dass Gegenstrategien und ihr zu erwartender Erfolg von den jeweils konkreten Rahmenbedingungen abhängig sind: Eine allgemeingültige Antwort darauf, welche Reaktionsmuster ‚funktionieren‘ und welche nicht, kann schlicht nicht gegeben werden.

Wir wollen hier an Beispielen orientiert auf verschiedene Punkte aufmerksam machen, die beim Agieren gegen rechte Diskursstrategien im Netz relevant sind. Grundlage dafür ist unsere Beobachtung und Analyse des Handelns rechter Akteure im Netz und relevanter Aspekte für ihren Erfolg oder Misserfolg. Diese Sammlung ist weder systematisch noch vollständig, sondern soll auf einige wichtige Aspekte aufmerksam machen und zur eigenen Weiterentwicklung anregen.

Grundsätzliches: Eine ideologiekritische Perspektive auf rechtes Handeln im Netz

Das Auftreten von Rechten in Social Media löst bei ihren politischen Gegnern oft Empörung und schroffe Abwehrreaktionen hervor. Häufig werden rechte Akteure und ihre Aussagen als rassistisch, sexistisch oder demokratiefeindlich beurteilt (was zweifellos häufig stimmen mag) und nicht weiter beachtet. Auch das Vermeiden der Konfrontation (z.B. durch Blocken oder das Ausweichen auf andere Plattformen wie Bluesky oder Mastodon, wo man ‚unter sich‘ ist) gehört hierzu. Wir argumentieren dafür, dass derartige Antworten zwar subjektiv verständlich, im Hinblick auf die politische Auseinandersetzung aber nicht produktiv sind. So hat der Wechsel auf andere Plattformen im Netz den offenkundigen politischen Nachteil, dass relevanter öffentlicher Raum den Rechten überlassen wird (was die Rechten selbst übrigens auch selbst erfahren mussten, als viele Akteure des rechten Milieus vor dem Hintergrund des zeitweise intensiv praktizierten Löschen der Accounts (‚Deplatformings‘) auf Twitter auf ‚eigene‘ Plattformen wie "Gettr", "Parler" oder "Truth Social" ausgewichen waren – und dort keinerlei Reichweite über die eigene Community hinaus mehr hatten).

Die rechte Herausforderung anzunehmen und erfolgreich beantworten zu können, setzt das Verständnis ihrer Inhalte und Funktionsweisen voraus. Zentral ist hierbei die Frage, ob und warum der Content rechter Akteure für andere (potenzielle Wähler:innen usw.) überzeugend oder attraktiv ist (oder warum es das nicht ist). Ein wesentliches Merkmal populistischer Kommunikation besteht gerade darin, dass sie in besonderer Weise die Interessen und Bedürfnisse des Publikums adressiert und versucht, diese zu bedienen. Daher reicht es nicht, nur rechte oder populistische Sprecher:innen in den Blick zu nehmen, vielmehr müssen sie im Zusammenhang mit den Rezipienten analysiert werden: Wie werden Bedürfnisse aufgegriffen und befriedigt, welche Antworten auf welche Fragen werden gegeben, welche (berechtigten oder unberechtigten) Ängste und Sorgen werden geschürt?

Ganz in diesem Sinne argumentiert der Sozialwissenschaftler Tino Heim (im Anschluss an den Theoretiker Stuart Hall) für eine ideologiekritische Perspektive auf rechte und populistische Diskurse. Das Ziel von Heims Ansatz ist es, die "Rationalitätskerne" rechter Diskurse freizulegen. Ideologiekritik, die eine konstruktive Auseinandersetzung ermöglichen soll, müsse nicht nur die Frage stellen, was an den rechten Positionen ‚falsch‘ ist, sondern vor allem auch die Frage stellen, was an ihnen „innerhalb gegebener gesellschaftlicher Verhältnisse und Rationalitäten ‚wahr‘ ist“ (Heim 2020: 152). Das mag provozierend erscheinen. Es geht aber gerade nicht darum, auf rechte Akteure zuzugehen oder Zugeständnisse zu machen. Im Gegenteil geht es darum, Normalisierungen rechter Positionen zu durchkreuzen. Heim geht vielmehr davon aus, dass rechte Positionen „Verarbeitungs- und Reflexionsformen für reale Erfahrungen valenter gesellschaftlicher Problemlagen, Antagonismen und Krisendynamiken“ seien. Vereinfacht gesagt: Rechte Diskurse sind zu analysieren als ideologische, verzerrte, falsche Antwort auf die Wahrnehmung realer gesellschaftlicher Probleme und Konflikte.

Es ist offensichtlich, dass dieser Ansatz gesellschaftstheoretische Fragen aufwirft, die den Rahmen der politischen Alltagskommunikation im Netz überschreiten. Allerdings würde eine Perspektive, die im rechten Auftreten im Netz nach den Ursachen seiner Attraktivität fragt es ermöglichen, die zugrundeliegenden Problemlagen selbst besser zu adressieren und adäquatere Antworten zu formulieren – und damit für betroffene Rezipienten attraktivere Angebote zu machen.

Zum Umgang mit rechten Konfronationen im Netz: Does and Dont's

Die Kommunikation in sozialen Netzwerken vermittelt uns den Eindruck, als bewegten wir uns primär in direkter Interaktion: Wir werden angesprochen, reagieren auf Postings (denen wir zustimmen oder die wir zurückweisen) oder streiten uns mit konkreten Usern. Dazu passt, dass viele User, die als Repräsentanten einer Partei oder Organisation wahrgenommen werden (und so agieren), in ihren Profilbeschreibungen angeben, dass sie „hier privat“ unterwegs seien.

Für die erfolgreiche Auseinandersetzung mit rechten Konfrontationen ist es aber zentral, sich bewusst zu machen, dass die politische Social-Media-Kommunikation nicht privat stattfindet, sondern neben den direkt handelnden Kontrahenten häufig von tausenden stillen Mitleser:innen verfolgt wird (in der Medien- und Diskursforschung wird dieser Aspekt als ‚Mehrfachadressierung‘ bezeichnet). Gerade diese ‚unsichtbaren‘ Rezipienten stellen in der politischen Kommunikation aber die relevante Adressatengruppe dar, für deren Fragen überzeugende Antworten zu formuliert sind. Zugespitzt: In der direkten Auseinandersetzung mit rechten Akteuren ist es kein relevantes Ziel, den Gegenüber von der eigenen Position argumentativ zu überzeugen. Vielmehr können direkte Kontroversen einen willkommenen Anlass dafür darstellen, die eigene Position für das mitlesende Publikum überzeugend vorzuführen.

Zu den Erfolgsgeheimnissen rechter und populistischer Diskursstrategien gehört, dass diese durch die Reaktionen ihrer Gegner Aufmerksamkeit generieren. Dies ist besonders bei Provokationsstrategien gut zu erkennen. Diese sind dann erfolgreich, wenn es den rechten Akteuren gelingt, empörte Reaktionen bei ihren Gegener:innen zu ‚provozieren‘, die dann das Interesse von Medien oder ansonsten unbeteiligten Mitleser:innen hervorrufen. Die Gegner:innen werden in diesen Fällen zu einkalkulierten Mitspielern rechter Diskurspraxis. Diesen Gefallen sollte man rechten Akteuren nicht tun.

Ein Beispiel dafür stellen die Dynamiken dar, die die rechte ‚Stolzmonat‘-Kampagne auf Twitter beflügelten: Wir konnten hier feststellen, dass die Kampagne gerade dann die größte Reichweite entwickeln konnte, als nicht nur die rechten User selbst sich beteiligten, sondern Unbeteiligte und Medien das Phänomen aufgriffen und kommentierten (oder sich ihm entgegenstellen wollten).

  • Abbildung 1 Stolzmonat
    Zeitverlauf #Stolzmonat und #hartundstolz

Im ‚Stolzmonat‘ konnten auch Versuche beobachtet werden, sich der rechten Dynamik entgegenzustellen. Ein Beispiel dafür stellt ein Tweet des Accounts des SPD-Bundesvorstandes dar. Dieser verwendet ein bekanntes Meme ('Drakeposting') und ruft dazu auf, sich den ‚PrideMonth‘ nicht vermiesen zu lassen.

  • Screenshot Intervention

Dieser Interventionsversuch folgt ohne Zweifel guten Absichten und auch handwerkliche Fehler (wie es z.B. die Verwendung des ‚gegnerischen‘ Hashtags darstellen würde) werden vermieden. Ein großer Nachteil besteht jedoch darin, dass dem Phänomen so die Aufmerksamkeit der eigenen Followerschaft geschenkt wird. Die eigene Reichweite droht Verstärker der rechten Kampagne zu werden.

Dazu kommt, dass das einzelne Posting sich gegen eine zum damaligen Zeitpunkt starke Dynamik rechter Netzmobilisierung stellt und selbst vereinzelt bleibt. So drohen derartige Postings leicht Vorlage für weitere Beiträge zur gegnerischen Kampagne zu werden: Es ist daher wenig überraschend, dass sich einer der rechten Initiatoren des ‚Stolzmonat‘ in den Antworten auf das Posting darüber freuen kann, dass seine ironische Erwiderung mehr Likes erhält, als der Ausgangspost einer Regierungspartei.

Es gibt aber auch Beispiele für erfolgreichere Versuche, rechte Diskursstrategien zu durchkreuzen! Diese zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie die Funktionslogik rechter Sprechweisen und Kommunikationsmuster nicht zurückweisen, sondern (ironisch) aufnehmen und neu kontextualisieren. Im besten Fall gelingt es so, die rechte Position nicht nur zu erwidern, sondern vorzuführen.

Im Kleinen gelingt dies schon bei der ironischen Verwendung rechter Schlagwörter, die in einem neuen Kontext zu ganz anderen Deutungen führen. Ein Beispiel dafür stellt die Verwendung des rechten Schlagwortes ‚Einzelfall‘ dar, mit dem Rechte ironisch durch Migranten begangene Gewalttaten kommentieren. Ironisch entwendete z.B. ein Account der Linkspartei den Ausdruck, wobei dieser im neuen Kontext ganz andere Deutungen transportiert, als im rechten Diskursumfeld.

  • Screenshot: Einzelfall

Der erfolgreiche Einsatz dieses Muster zeigte sich aber z.B. im Kontext der Kampagne #AfDnee, die im September 2023 gestartet wurde: Im Zentrum dieser Kampagne stehen Postings, in denen fiktive AfD-Wähler:innen aus der Zukunft davon berichten, dass die Wahl der AfD ihnen selbst geschadet hat und ihre ursprünglichen Absichten ins Gegenteil verkehrt wurden.

Die Kampagne sorgte schnell für große Aufmerksamkeit in den sozialen Netzen und sorgte auch im rechten Lager für Aufregung: Rechte Akteure versuchten schnell (nach dem Vorbild des aus rechter Sicht erfolgreichen Stolzmonat), die Kampagne zu kapern und durch eine Gegenkampagne umzukehren. Analog zu den originalen Postings der Kampagne #AfDnee wurden diese mit Postings beantwortet, in denen mit gleicher graphischer Aufmachung fiktive AfD-Wähler:innen (häufig ironisch überzeichnet) davon berichten, wie ihre Erwartungen bei der Wahl der AfD noch übertroffen wurden. Auf diesen Kaperungsversuch antworteten wiederum einige User:innen mit Postings, die die ironische Verkehrung der Kampagne durch Rechte (nochmals) umkehrten. 

  • Screenshot #afdnee

Mit Verzahnungsstrategien verfolgen rechte Akteure das offen ausgesprochene Ziel, die Grenzen zwischen den politischen Lagern zu verwischen. Daher ist es oft zu beobachten, dass Rechte ‚linke‘ Positionen oder Akteure loben und sich mit ihren Aussagen gemeinmachen. Dies zielt auch darauf ab, innerhalb des gegnerischen Lagers Streit zu erzeugen und zu Spaltungen beizutragen. Denn für die betroffenen Positionen oder Personen ist das Lob von rechts eine vergiftete Auszeichnung, die Angriffe im eigenen Lager hervorruft (‚Kontaktschuld‘) und Rechtfertigungen erfordert.

Auch hier sollte man die rechten Diskursstrategien durchkreuzen: Wer die Übereinstimmung mit einzelnen Positionen, die auch von rechts vertreten werden oder einzelne Zustimmung aus der rechten Ecke als Vorwurf gegen Akteure aus dem eigenen Lager verwendet, unterstützt die von rechts betriebene Fragmentierung linker und demokratischer Kräfte. Konstruktive Debatten und auch Streit um die richtigen Positionen ist wichtig und sollte offen ausgetragen werden können, aber den Rechten sollte die Mitsprache hierbei verweigert werden.

Ein wesentlicher Aspekt, der für Erfolge rechter Diskursstrategien mitunter eine entscheidende Rolle spielt, ist im Agieren einer Kerngruppe rechter Onlineaktivisten zu sehen. Diese Kerngruppe übernimmt eine zentrale Koordinierungsfunktion für das kollektive Handeln rechter Akteure in Social-Media. Entscheidend ist, dass der harte Kern des rechten Onlinemilieus sich als kollektiver Akteur versteht, die gemeinsam in sozialen Netzwerken als politische Kraft handeln. Dabei hat die Kerngruppe des rechten Onlineaktivismus

1.ein (weitgehend) einheitliches politisches Weltbild, das die Festlegung auf gemeinsame (langfristige) politischen Ziele beinhaltet. Dazu kommen

2. in der Szene verbreitete (Kommunikations-)strategische und taktische Orientierungen, wie diese Ziele praktisch zu realisieren sind und welche Rolle die Kommunikation in sozialen Netzwerken dabei spielen soll.

3. verfügen viele rechten Onlineaktivisten über ‚handwerkliche‘ Kompetenzen, die hier hilfreich sind (etwa technische Kompetenzen im Webdesign,  Mediengestaltung, Nutzung von KI-Tools etc.).

4. ist regelmäßig zu beobachten, dass in dieser Gruppe Absprachen zum Agieren in den Netzwerken (und darüber hinaus) getroffen werden, die dazu führen, dass nicht individuell, sondern im Kollektiv auf gerade aktuelle Ereignisse oder Situationen reagiert werden kann – oder diese selbst hergestellt werden.

Abstimmungen zur kurzfristigen Anpassung der Taktik im rechten Milieu illustriert anschaulich das folgende Beispiel: Mitglieder der AfD sahen sich bei der Durchführung von Infoständen mit subversiven Praktiken von Antifaschisten konfrontiert, auf die sie nicht angemessen zu reagieren wussten. Diese Situation führte umgehend zu Diskussionen in der Szene darüber, wie diese Situation adäquat zu reagieren sei:

  • Screenshot: Taktische Abstimmungen im rechten Online-Aktivismus
  • Screenshot: Taktische Abstimmungen im rechten Online-Aktivismus

Das abgestimmte Handeln dieser rechten Onlineaktivisten ermöglicht die Teilnahme von sehr vielen rechten Usern weit über die Kerngruppe hinaus, wie das Beispiel des 'Stolzmonats' deutlich zeigte. Um auf diese Form des kollektiven Onlineaktivismus des rechten Milieus angemessen reagieren zu können, ist die Herstellung von 'Waffengleichheit' unbedingt erforderlich. Das bedeutet unter anderem: Die Förderung eigener Strukturen, der Aufbau von praktischen Kompetenzen, das Schaffen von Räumen zur Abstimmung über das eigene Handeln.