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Schlagwörter: Demokratie, Verfassung, BRD

Große Teile des rechten Milieus inszenieren sich als Vertreter der Demokratie und Freunde der Verfassung. Gleichzeitig gelten sie als Verfassungsfeinde und der rechte Populismus als Gefahr für die Demokratie. Dieser Artikel untersucht die widersprüchliche Nutzung der Begriffe `Demokratie' und 'Verfassung' im rechten Spektrum.

Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)


Verknüpft mit: Volk, Altparteien, Flucht und Migration


Diskurscommunities: AfD, Neue Rechte


Version: 0.8 (18.10.2023), Überarbeitung 19.02.2024

Kurzüberblick

Die Ausdrücke 'Demokratie', 'Verfassung' und 'Grundgesetz' haben im rechten Online-Diskurs eine ambivalente Stellung: Einerseits inszenieren sich besonders rechtspopulistische Akteure und konkret die AfD als 'Grundgesetzpartei' und bekennen sich zur Demokratie. Auf der anderen Seite gilt die Verfassung im (neu-)rechten Diskurs häufig als dem 'Volk' nachgeordnet. Politische Gegner von rechten Akteuren aus den etablierten Parteien wird häufig vorgeworfen, verfassungswidrig zu handeln. Im Kontext der Corona-Pandemie bezogen sich Gegner der politischen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auf die Verfassung, mit der die Maßnahmen nicht zu vereinbaren seien.

Häufigkeitsprofil

Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre).

Der Vergleich der Gebrauchshäufigkeit der Ausdrücke 'Demokratie' und 'Grundgesetz' in den verschiedenen Communities zeigt, dass beide Ausdrücke im gesamten rechten Social-Media-Diskurs verankert sind und sich nicht einzelnen Gruppen zuordnen lassen. Besonders die AfD und ihr nahestehende Accounts verwenden 'Demokratie' überdurchschnittlich oft, während Sifftwitter ihn seltener verwendet. Die Verteilung sieht beim 'Grundgesetz' ähnlich aus, liegt aber insgesamt auf einem geringeren Niveau.

Kollokationen

  • 1_Abbildung_1_Demokratie
    Abbildung 1: Kollokationsprofil Demokratie

Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis in verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Sprechergruppen mit anderen Bedeutungen verwendet. Um diese unterschiedlichen Gebrauchsmuster beschreiben zu können, ist das Umfeld aufschlussreich, in dem das untersuchte Wort vorkommt. Hierbei ist besonders relevant, mit welchen anderen Ausdrücken das untersuchte Wort besonders häufig (und statistisch überdurchschnittlich oft) gemeinsam verwendet wird. Diese häufige Verbindung zweier Ausdrücke nennt man in der Sprachwissenschaft Kollokation oder Kookkurrenz. Die unten stehende Tabelle zeigt die wichtigsten Kookkurrenzen der Suchausdrücke sortiert nach Signifikanz, also danach, wie stark überdurchschnittlich die Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens ist. Grundlage ist unser User-Korpus, das die rechte Twittersphäre abbildet (genauere Informationen zu unserer Datengrundlage finden sich auf der Seite über das Projekt). 

Die Gebrauchskontexte des Ausdrucks 'Demokratie' in unserem Korpus zeigen, dass die Demokratie häufig mit bestimmten Eigenschaften versehen wird: Es wird über 'unsere' (2) Demokratie gesprochen oder eine 'direkte' Demokratie präferiert oder abgelehnt. Die gegenwärtige Gesellschaft (oder ihr Selbstbild) wird als 'parlamentarische' (11), 'liberale' (15) oder 'freiheitliche' (19) Demokratie beschrieben. Sie wird mit der Meinungsfreiheit (7) und Rechtsstaatlichkeit (9) verknüpft. Das Konzept der 'wehrhaften' (10) Demokratie wird häufig genannt, was als Ausdruck der Wahrnehmung einer Bedrohungslage für die Demokratie interpretiert werden kann. Die Beschreibung von Gefahren (3) für oder Angriffen (16) auf die Demokratie ist auch darüber hinaus sehr präsent: 'Feinde' (5) der Demokratie werden ebenso häufig genannt wie ihr die 'Diktatur' (6) entgegengestellt wird. Demokratie wird als 'gefährdet' charakterisiert und 'Angriffe' auf sie ausgemacht. Insgesamt zeigen die Kollokationspartner, dass 'Demokratie' im Diskurs positiv bewertet wird – Kontexte, in denen sie kritisiert oder abgelehnt wird, lassen sich nicht erkennen. Dies zeigen auch häufige Verwendungskontexte, in denen die Demokratie 'verteidigt' (18) werden soll oder muss.

Typische Verwendungsweisen

a) 'Verfassung' und 'Grundgesetz' vs. 'Volk'

Die Verfassung hat im rechten Diskurs eine ambivalente Stellung. Einerseits betonen rechte und rechtspopulistische Kräfte immer wieder ihr Bekenntnis zur Verfassung und zur Demokratie (so sind im AfD- Grundsatzprogramm der Präambel folgende Aussagen vorangestellt: „Wir sind Liberale und Konservative. Wir sind freie Bürger unseres Landes. Wir sind überzeugte Demokraten.“ AfD-Grundsatzprogramm, S. 6). Auf der anderen Seite wird im neurechten Denken dem Bekenntnis zum eigenen Volk ein Vorrang vor der politischen Formation des Staates eingeräumt. Dies wird etwa deutlich an Aussagen von Björn Höcke in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“: Verfassungsgrundsätze seien „viel zu abstrakt und unverbindlich“ (Höcke 2018: 125) um eine politische Gemeinschaft herzustellen. Das Grundgesetz stehe aber nicht im Widerspruch zum Primat einer Verpflichtung auf das Volk. Vielmehr sei es sogar „im Prinzip 'völkisch', da das Volk als konstituierende Gemeinschaft der Verfassung vorangestellt ist. Ihm gilt der Eid der Regierenden, auch wenn dieser heute permanent gebrochen wird. Laut §6 BVFG zählt zu einem Deutschen (sic!), 'wer sich zum deutschen Volkstum bekennt und dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird'“ (Höcke 2018: 134). 

In Social-Media zeigt sich diese Ambivalenz zum Beispiel dann, wenn Vertreter:innen der AfD ihre Partei als 'Grundgesetzpartei' inszenieren (Screenshots 1 und 2). Auf der anderen Seite wird in einem Podcast des neurechten Jungeuropa-Verlages vom Grundgesetz als 'Verfassungskadaver' gesprochen und das Besatzungsstatut der Siegermächte des 2. Weltkrieges als eigentliche Verfassung der Bundesrepublik bezeichnet (Screenshot 3).

  • 2_Screenshot_1_Demokratie
    Screenshot 1: Demokratie
  • 3_Screenshot_2_Demokratie
    Screenshot 2: Demokratie
  • 4_Screenshot_3_Demokratie
    Screenshot 3: Demokratie

b) Politische Gegner als 'Verfassungsfeinde'

Neben der ambivalenten Haltung des rechten Lagers zur Verfassung und zum Grundgesetz sind Redeweisen im rechten Diskurs charakteristisch, in denen der politische Gegner, also die Vertreter:innen der 'Altparteien', als 'Verfassungsfeinde' gezeichnet werden. Im Untersuchungszeitraum war dies insbesondere im Kontext der Corona-Maßnahmen zu beobachten, wo die Ablehnung der Maßnahmenpolitik unter Verweis auf die Verfassung begründet wurde. Aber auch beim Sprechen über Flucht und Migration zeigt sich dieses Muster immer wieder.

  • 6_Screenshot_5_Demokratie
    Screenshot 5: Demokratie
  • 7_Screenshot_6_Demokratie
    Screenshot 6: Demokratie
  • 8_Screenshot_7_Demokratie
    Screenshot 7: Demokratie
  • 9_Screenshot_8_Demokratie
    Screenshot 8: Demokratie
  • 10_Screenshot_9_Demokratie
    Screenshot 9: Demokratie

Zitierte Literatur

  • Höcke, Björn (2018): Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig. Lüdinghausen und Berlin: Manuscriptum.

  • Alternative für Deutschland (2016): Grundsatzprogramm für Deutschland. Stuttgart. Online verfügbar unter https://www.afd.de/grundsatzprogramm/.

 

Zum Weiterlesen

Zum Gebrauch von ‚Demokratie‘ als Kampfbegriff im rechtsextremen Diskurs informiert ein Artikel von Robin Heun: 

  • Heun, Robin (2016): Demokratie. In: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag.