Quelle: HBS
Schlagwörter: Szenesprache (Boomer, Normie, NPC, literarisch, basiert)
Wie andere Subkulturen auch hat auch ein Teil der rechte Onlinecommunity eine Szenesprache ausgebildet: Von Slangausdrücken bis zur ironischen Imitation bekannter Internetpersönlichkeiten. Unsere Analyse beleuchtet, wie die Szenesprache in der rechten Twittersphäre nicht nur als Ausdruck von Identität, sondern auch als politisches Werkzeug dient.
Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)
Verknüpft mit: Metapolitik, Medien
Diskurscommunities: Neue Rechte, Siff- und Trollbubble
Version: 0.8 (17.10.2023), Überarbeitung 19.02.2024
Kurzüberblick
Charakteristisch für Teile des rechten Onlinediskurses ist die Verwendung von szenesprachlichen Elementen, insbesondere bestimmte szenesprachlichen Ausdrücken. Auffällig sind hier etwa die Verwendung bestimmter subkultureller Ausdrücke ('based' oder 'cringe'), die wortwörtliche Übersetzung englischer Slangbegriffe (mit bewussten semantischen 'Fehlern' wie etwa die Verwendung von 'literarisch' statt 'tatsächlich' oder 'wörtlich' für 'literally') oder die ironische Imitation von Sprechweisen des Youtubers „Drachenlord“ mit fränkischem Dialekt ('Meddl!' vgl. Sifftwitter). In einem weiteren Sinne können auch das Zeigen bestimmter Gesten wie das OK-Zeichen mit den Fingern hierzu gerechnet werden, dessen Interpretation als 'White-Power-Geste' durch politische Gegner (oder 'Normies', siehe unten) oder Medien als lustig empfunden wird.
Szenesprachen werden in der Sprachwissenschaft generell als Teil der (übergreifenden) Jugendsprache verstanden (vgl. Androutsopoulos 2005). Innerhalb der Jugendsprache lassen sich verschiedene kleinere, von bestimmten sozialen Gruppen getragene Sprechstile abgrenzen. Typische Beispiele für derartige Szenesprachen sind etwa die Sprachen bestimmter Musiksubkulturen (z.B. der Rapszene), aber auch politische Gruppierungen können Szenesprachen ausbilden. Wichtige Voraussetzung für die Entstehung politischer Szenesprache stellt das Vorhandensein einer geteilten Gruppenidentität dar: Szenesprachen setzen eine (mehr oder weniger stabile) Anzahl von Mitgliedern der Gruppe voraus, die gemeinsame Überzeugungen und Ziele verbindet und die kontinuierlich miteinander kommunizieren und interagieren (vgl. Kämper 2018).
Als Besonderheit der rechten Szenesprache in Social-Media kann gelten, dass die routinemäßige Kommunikation, die die Entstehung von Konventionen erst ermöglicht, im Wesentlichen in sozialen Netzwerken stattfindet. Der Online-Diskurs kann daher als primärer Austauschort gelten, an dem die Ansichten, Ziele und Gewohnheiten der politischen Gruppe herausgebildet werden, die die Szenesprache verwendet.
Die szenesprachlichen Ausdrücke, die wir hier beschreiben, werden nur in zwei Teilcommunities der rechten Twittersphäre verwendet und kommen in den anderen Gruppen (inklusive der AfD und ihrer Sympathisanten) kaum vor. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich in der rechten Twittersphäre ad-hoc gebildete Communities, die über keine gefestigte Gruppenidentität und in Folge auch kaum über eine gemeinsame Sprache verfügen, von politischen Gruppen unterscheiden lassen, die durch eine geteilte Programmatik und Weltsicht sowie abgestimmte Ziele und Mittel zu ihrer Realisierung verfügen.
Interessant ist, dass unsere Analyse zeigt, dass nicht nur in subkulturellen Milieus der rechten Onlinesphäre (also der Siff- und Trollbubble) die hier von uns betrachteten szenesprachlichen Ausdrücke alltäglich verwendet werden, sondern mit vergleichbaren Häufigkeiten in der neurechten Onlinecommunity. Dies zeigt, dass hier ein von beiden Gruppen geteilter Kommunikationsraum vorliegt. Diese Teilhabe neurechter Akteure an subkulturellem Onlinediskursen ermöglicht die effektive Verbreitung neurechter Inhalte an ein junges Publikum (Metapolitik).
Häufigkeitsprofil
Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre.
Die Betrachtung der Häufigkeitsverteilung einer kleinen Auswahl szenesprachlicher Ausdrücke ('Boomer', 'basiert', 'literarisch' und 'cringe') zeigt ein interessantes Ergebnis: Neben der Siff- und Trollbubble, bei der eine alltägliche Verwendung entsprechender Sprache zu erwarten war, werden die Ausdrücke einzig in der neurechten Twittercommunity verwendet. Hierbei liegen die Häufigkeitswerte in beiden Communities sogar auf gleichem Niveau. Alle anderen Online-Communities verwenden die genannten Ausdrücke praktisch nicht. Dies kann als (starkes) Indiz dafür verstanden werden, dass beide Gruppen einen gemeinsamen Diskursraum bilden.
Typische Verwendungsweisen
Wir können die hier beschriebene Szenesprache nicht umfassend darstellen, sondern wollen einen Einblick anhand einiger aussagekräftiger Beispiele ermöglichen. Wichtig ist, dass einige der behandelten Ausdrücke (etwa 'Boomer') nicht auf die rechte Subkultur beschränkt, sondern Bestandteil der allgemeinen Jugendsprache sind, im rechten Kontext aber mit einer bestimmten Bedeutung verwendet werden.
a) 'Normies' und 'NPCs'
Mit Ausdrücken wie 'Normie' oder 'NPC' werden im rechten Diskurs Angehörige der Mehrheitsgesellschaft bezeichnet, die für die im (neu-)rechten Denken verbreitete Weltsicht und Vorstellungen (noch) nicht zugänglich sind: Normies leben aus neurechter Sicht in einer Scheinwelt, die sich insbesondere auf die Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft der letzten Jahrzehnte stützt. Normies glauben die Narrationen und Beschreibungen des 'Mainstreams' und der etablierten Medien. Die 'tatsächlichen Verhältnisse' können oder wollen Normies nicht verstehen (etwa die als 'Bevölkerungsaustausch' verstanden Migrationsprozesse und ihre Konsequenzen oder die Hintergründe der Corona-Pandemie oder des Klimawandels usw.).
Der Ausdruck 'NPC' verweist metaphorisch auf eine ähnliche Figur: Im Onlinegaming werden vom Computer gesteuerte Charaktere als „Non-Playable Character“ bezeichnet. NPCs folgen einfachen Routinen, die ihnen von außen vorgegeben werden.
Das verbreitete ablehnende Sprechen über Normies und NPCs verweist auf eine im neurechten Diskurs (unausgesprochen) verbreitete Unterscheidung der Eigengruppe von 'den anderen': Man rechnet sich selbst einer eingeweihten Minderheit zu, die einzig über ein realistisches Bild der Gesellschaft und ihrer Probleme verfügt und zu ihrer Lösung beitragen kann. Die Eigen- und Fremdgruppe werden so (implizit) asymmetrisch konstruiert: Zwischen den Vorstellungen der Normies und einem rechten Weltbild kann es zu keinem Ausgleich oder Kompromiss kommen, sondern die Gegner müssen entweder überzeugt oder politisch besiegt werden.
b) 'Boomer'
Der (inzwischen auch außerhalb der Onlinesphäre bekannte) Ausdruck 'Boomer' beschreibt die Angehörigen der 'geburtenstarken Jahrgänge’ nach dem 2. Weltkrieg. In der Netzkultur generell und im rechten Sprachgebrauch besonders beschreibt der Ausdruck eine bestimmte Sozialfigur, die große Übereinstimmungen mit den Normies hat: Boomer verstehen die heutige Gesellschaft nicht, wählen aus reiner Gewohnheit immer die gleichen Parteien, interessieren sich nur für ihre private Welt, ihre Rente und ihren Wohlstand usw. Interessant ist, dass der Ausdruck (anders als 'Normie'/'NPC') nicht nur für die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft verwendet wird, sondern auch regelmäßig für Akteure im eigenen Lager: Insbesondere werden 'Boomer' in der AfD ausgemacht, denen ein schädlicher bis zerstörerischer Einfluss auf das (neu-)rechte politische Projekt und seine Erfolgsaussichten zugeschrieben wird.
c) Wortwörtliche Übersetzungen ins Deutsche: 'Literarisch', 'basiert', 'sein wie'
Ein verbreitetes Stilmerkmal (auch) der rechten Online-Subkultur ist die Verwendung von bewusst fehlerhaften wörtlichen Übertragungen von englischen Ausdrücken oder Wendungen ins Deutsche. Verbreitet ist z.B. die Verwendung von 'literarisch' als Übersetzung von 'literally' (statt wörtlich oder tatsächlich) oder 'basiert' (analog zu 'based') als Ausdruck der Zustimmung.
Zitierte Literatur
- Androutsopoulos, Jannis (2005): "… und jetzt gehe ich chillen: Jugend- und Szenesprachen als lexikalische Erneuerungsquellen des Standards". In: Ludwig M. Eichinger and Werner Kallmeyer (hg.): Standardvariation: Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache?. Berlin, New York: De Gruyter, S. 171-206.
- Kämper, Heidrun (2018): "Sprache in politischen Gruppen". In: Eva Neuland, Peter Schlobinski (Hg.): Handbuch Sprache in sozialen Gruppen. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 439-454.
Zum Weiterlesen
Einen guten Überblick über Entstehung und Ideologie der (amerikanischen) Alt-Right-Subkultur im Netz (auf der die hier beschriebenen Phänomene basieren) liefert Angela Nagles Buch „Kill All Normies“, das auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist:
- Nagle, Angela (2018): Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump. Bielefeld: transcript Verlag
Ein Dossier der Amadeo Antonio Stiftung informiert über den Antifeminismus der rechten Online-Subkultur: