zurück
Keyvisual_2

Schlagwörter: Arbeiter, Arbeiterklasse, Arbeiterpartei

Ausdrücke wie 'Arbeiter', Arbeiterpartei' und 'Arbeiterklasse' sind historisch zumeist mit linker Politik verbunden. Rechte Gruppierungen versuchen jedoch aktuell ganz bewusst, solche Begriffe für ihre Zwecke zu kapern. Warum passiert das und wie funktioniert es genau? Dieses Kapitel beleuchtet Beispiele, wie die Neue Rechte und die AfD gewollt auf Irritationen setzen - und um welche Wörter und Bedeutungen es dabei gehen kann.

Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)


Verknüpft mit: Semantische Enteignung, Topos Rollentausch


Diskurscommunities: AfD, Neue Rechte


Version: 0.8 (10.12.2022), Überarbeitung 19.02.2024

Kurzüberblick

Die Ausdrücke 'Arbeiter', 'Arbeiterpartei' und 'Arbeiterklasse' werden in der rechten Twittersphäre häufig mit politisch-strategischer Intention verwendet. Zu diesem Wortfeld gehören noch weitere Wörter, die jedoch in deutlich geringerer Anzahl vorkommen (z.B. 'Proleten' oder 'Proletariat'). Es handelt sich um umkämpfte Ausdrücke, die im rechten Diskurs strategisch eingesetzt werden. Auch wenn historisch immer wieder auch rechte Politik mit diesen Ausdrücken operierte oder diese für sich reklamierte, werden sie vorrangig mit linker Politik verbunden. Die Ausdrücke gehören zum traditionellen Ideologievokabular der politischen Linken. Jedoch reklamieren einige rechte Akteure und Gruppierungen die Ausdrücke intensiv für sich und versuchen sie der politischen Linken zu entreißen. Es handelt sich also um typische Versuche der semantischen Aneignung.

Die drei Ausdrücke gehören zu einem gemeinsamen Bedeutungsfeld, werden allerdings mit etwas anderen Bedeutungsschwerpunkten verwendet: Mit dem Ausdruck 'Arbeiter' werden primär die Adressaten von Politik benannt, wobei häufig für sich selbst beansprucht wird, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Andererseits wird dem politischen Gegner häufig vorgeworfen, gerade dies nicht (mehr) zu tun (und die 'Arbeiter zu verraten'). Arbeiter erfüllen hier eine ähnliche rhetorische Funktion wie die 'einfachen Leute' oder das 'Volk'. Als (neue) Arbeiterpartei bezeichnen verschiedene Akteure aus dem Umfeld der AfD (und darüber hinaus) ihre Partei, um diese öffentlich zu positionieren. Andererseits sollen politische Gegner geschwächt werden, indem ihnen der Status (oder das ggf. ehemalige Selbstverständnis) als Arbeiterpartei abgesprochen wird. Das damit verbundene Selbstverständnis teilen nicht alle Akteure im rechten Lager, so dass durch den entsprechenden Sprachgebrauch auch interne Kontroversen provoziert werden können.

Auch mit dem Ausdruck 'Arbeiterklasse' werden die Adressaten von Politik benannt, wobei der Ausdruck stärker mit der linken bzw. marxistischen Theorie verbunden ist und daher seltener als Selbstbezeichnung vorkommt, dafür aber häufiger in ironisch-sarkastischer Weise gegen den politischen Gegner gerichtet wird.

Die Ausdrücke 'Arbeiter' und 'Arbeiterklasse' werden am häufigsten von Accounts verwendet, die der Neuen Rechten und ihrem Umfeld zuzurechnen sind. Aufgrund der gezielten Versuche, neue Positionierungen durchzusetzen, taucht der Ausdruck 'Arbeiterpartei' am häufigsten bei der AfD und mit ihr verknüpften Accounts auf. Es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Akteursgruppen den Ausdruck bewusst im Rahmen strategisch geführter semantischer Kämpfe verwenden.

Häufigkeitsprofil

Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre.

Im Hinblick auf die Häufigkeit des Gebrauchs der Ausdrücke 'Arbeiter', 'Arbeiterpartei' und 'Arbeiterklasse' fällt auf, dass diese in verschiedenen politischen Communities unterschiedlich häufig verwendet werden. Insbesondere von Accounts, die der AfD oder der Neuen Rechten zuzurechnen sind oder nahestehen, werden die Ausdrücke vergleichsweise häufig gebraucht: 'Arbeiter' wird am häufigsten von Neurechten verwendet und die AfD ist die Community, in der 'Arbeiterpartei' am häufigsten auftaucht. Hierbei ist zu beachten, dass die typischen Gebrauchsformen auch innerhalb der rechten Community nicht einheitlich sind: Typischerweise sind es neurechte (oder durch die Neue Rechte beeinflusste) Accounts, die sich in einer positiven Weise auf Arbeiter beziehen oder für sich und das eigene Lager in Anspruch nehmen, die authentische Arbeiterpartei in Deutschland zu sein (und dies insbesondere der SPD und der Linkspartei absprechen). Profile, die sich wirtschafts- und sozialpolitisch eher der liberalen Strömung des rechten Lagers zurechnen lassen, zeigen häufiger weniger emphatische Verwendungen und gebrauchen die Ausdrücke regelmäßig in negativen Kontexten, in denen die Identität des politischen Gegners attackiert wird. 

Kollokationen

  • 1_Abbildung_1_Arbeiter
    Abbildung 2: Kollokationen "Arbeiter", "Arbeiterpartei", "Arbeiterklasse"

Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis in verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Sprechergruppen mit anderen Bedeutungen verwendet. Um diese unterschiedlichen Gebrauchsmuster beschreiben zu können, ist das Umfeld aufschlussreich, in dem das untersuchte Wort vorkommt. Hierbei ist besonders relevant, mit welchen anderen Ausdrücken das untersuchte Wort besonders häufig (und statistisch überdurchschnittlich oft) gemeinsam verwendet wird. Diese häufige Verbindung zweier Ausdrücke nennt man in der Sprachwissenschaft Kollokation oder Kookkurrenz. Die unten stehende Tabelle zeigt die wichtigsten Kollokationen der Suchausdrücke sortiert nach Signifikanz, also danach, wie stark überdurchschnittlich die Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens ist. Grundlage ist unser User-Korpus, das die rechte Twittersphäre abbildet (genauere Informationen zu unserer Datengrundlage finden sich auf der Seite über das Projekt). 

Das Kollokationsprofil von 'Arbeiter' lässt erkennen, dass der Ausdruck im rechten Social-Media-Diskurs häufig gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen ('Angestellte (1), 'Bauern', (2) 'Handwerker' (3), 'Rentner' (10), 'Alleinerziehende' (18)) vorkommt. Hier werden typischerweise sprachlich Kollektive konstruiert, die für die 'einfachen Leute' stehen und die als Trägerschicht des eigenen politischen Anliegens entworfen werden. Im Gegensatz stehen diese Kollektive zum 'Kapital' (12) oder zu politischen Gegnern ('Linke' (4), 'SPD' (5), 'Gewerkschaften' (11)), denen typischerweise abgesprochen wird, die 'Arbeiter' zu vertreten. 

Beim Gebrauch von 'Arbeiterpartei' im rechten Social-Media-Diskurs zeichnet sich schnell ab, dass eine Verwendungsweise dominiert, bei der mit dem Ausdruck die Identität des politischen Gegners infrage gestellt wird. Hierzu dienen Attribute wie 'ehemalige' (2), 'selbsterklärte' (3), 'einstige' (7). Auch das Verhalten des Bundeskanzlers im Kontext des Cum-Ex-Skandals und der dabei involvierten 'Warburg-Bank' (12, 18) wird als Beleg dafür herangezogen, dass die SPD keine Arbeiterpartei mehr sei. Diese Variante ist deutlich häufiger als der Gebrauch des Ausdrucks als Selbstbezeichnung, der sich in Verwendungen mit dem Attribut 'neue' (16) zeigt: Bei praktisch allen Vorkommen dieser Kollokation wird die AfD als 'neue Arbeiterpartei' konstruiert (oder bezeichnet sich selbst so).

Die Kollokationen von 'Arbeiterklasse' zeigen, dass auch hier die Konstruktionen eines Gegensatzes zwischen politischen Gegnern und der Arbeiterklasse dominiert: Der von Sahra Wagenknecht in den Diskurs eingebrachte Begriff 'Lifestyle-Linke' (1) wird in der rechten Twittersphäre gerne aufgegriffen. Im Kontext des Sprechens über die Arbeiterklasse wird die Lifestyle-Linke praktisch ausschließlich im Konflikt mit der Arbeiterklasse beschrieben: Typisch sind etwa Tweets, die Videos von Protestaktionen der Letzten Generation zeigen (die dann als Lifestyle-Linke bezeichnet werden), in denen die 'Arbeiterklasse' behindert werde und sich gegen die Aktivisten wehrt. Die hoch signifikanten Vorkommen von speziellen Ausdrücken wie 'GloboHomo-Politikerkaste' (2) sind ganz analog zu verstehen. Deutliche Spuren im Gebrauchsprofil des Ausdrucks haben die Proteste 'Kanadischer' (5) LKW-Fahrer hinterlassen, die im Untersuchungszeitraum in der Social-Media-Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erfahren hatten. Gerade bei den hier vorliegenden Konflikt erschien es offenbar vielen Akteuren des rechten Diskurses passend, die Demonstranten mit als 'fahrende' (4) Arbeiterklasse zu charakterisieren.

TYPISCHE VERWENDUNGSWEISEN

a) Stigmabegriff: 'Ehemalige Arbeiterparteien'

Häufig werden die Ausdrücke 'Arbeiterpartei' oder (seltener) 'Arbeiterklasse' verwendet, um die Identität des politischen Gegners anzugreifen und das öffentliche Image linker Parteien und Institutionen als Vertreter der Arbeiter zu diskreditieren. Hierbei werden die Ausdrücke typischerweise mit Attributen wie 'ehemalige' oder 'angebliche' verbunden.

  • Screenshot 1 Arbeiter
    Screenshot 1

Screenshot 1 zeigt dafür ein typisches Beispiel: Ein Journalist rechtsgerichteter österreichischer Medien kommentiert den Tweet eines SPD-Mitarbeiters, der sich zu einem Bildzeitungsartikel über die Impfpflicht in bestimmten Berufen äußert. Das Selbstbild linker Organisationen (hier der SPD), eine Arbeiterpartei zu sein, wird angegriffen, da es ihnen an „Mitgefühl mit ohnehin unterbezahlten Frauen, die ohnehin bald arbeitslos“ mangele. Weiterhin wird eine antikapitalistische Rhetorik verwendet, indem die Impfung gegen Covid als „Produkt eines Pharma-Großkonzerns“ bezeichnet wird. Die höhnische Kommentierung eines als hartherzig gegenüber den angeblichen eigenen Stammwählern dargestellten Tweets dient der Infragestellung des öffentlichen Bildes des politischen Gegners und seines Selbstbildes und steht durch die Anzweifelung des klassischen linken Selbstverständnisses in Beziehung zum Topos des politischen Rollentauschs.

  • Screenshot 2 Arbeiter
    Screenshot 2

Dieses Beispiel ist etwas anders gelagert als das oben genannte, aber trotzdem für den Diskurs typisch: Ein User bezieht sich per Retweet auf die Darstellung einer Straßenblockade durch Aktivst:innen der 'letzten Generation', auf die ein behinderter Autofahrer mit Gewalt reagierte. Dabei werden die Aktivisten mit (überzeichnetem) linken Vokabular als „Klassenfeinde der Arbeiterklasse“ tituliert. Dadurch wird eine Konstellation entworfen, bei der linke Protestformen in einem schroffen Gegensatz zu den Interessen der Arbeiter stehen. Auch in diesem Fall werden somit die öffentlichen Selbst- und Fremdbilder politischer Gruppen irritiert und es wird versucht, diese neu zu etablieren, wobei linke Protestformen den Arbeitern gegenüber feindlich gezeichnet werden.

b) Selbstbezeichnung: 'Neue Arbeiterpartei'

  • Screenshot_3
    Screenshot 3

Ein typisches Beispiel für den positiven Bezug auf die 'Arbeiter' (hier: das „klassische Arbeitermilieu“) liegt hier vor: Das Sharepic des neurechten Konflikt-Magazins zeigt ein Statement des AfD- und Bundestagsmitgliedes Matthias Helferich. Dieser fordert von seiner Partei, dass diese sich auf Arbeitermilieus und mit diesen verknüpfte Identitätsmerkmale („Hochhaussiedlung statt Jägerzaun“) zu fokussieren habe. Zu beachten ist dabei, dass der dem rechten Flügel seiner Partei zugerechnete Helferich damit nicht nur eine Konfliktlinie zum politischen Gegner aufmacht, sondern auch innerhalb seiner Partei Richtungskämpfe bedient: Er stellt die Arbeiter und ihre Identität (unausgesprochen) einem 'bürgerlichen Milieu' entgegen, dass der klassischen Rechtspopulismus gezielt bedienen möchte und gemeinsam mit den Arbeitern zum (einfachen) 'Volk' zusammenschließt.

  • Screenshot 4 Arbeiter
    Screenshot 4

Dieser Tweet zeigt in typischer Art und Weise die Beanspruchung des Labels 'Arbeiterpartei' durch die politische Rechte und die AfD. Als Anlass des Tweets (und gleichzeitig als Beleg der aufgestellten These) sind Screenshots der medialen Berichterstattung zur letzten Bundestagswahl angefügt, die das Wahlverhalten nach Tätigkeitsgruppen zeigen, wobei die AfD bei Arbeitern besonders gut abgeschnitten hatte. Die AfD sei daher die Partei für die „sozial Schwachen“, als deren politische Repräsentanten üblicherweise die linken Parteien gelten. Bemerkenswert ist weiterhin die Verbindung des Bezuges auf ökonomisch-materielle Kategorien (Arbeiter / sozial Schwache) mit emotionalen bzw. moralisierenden Appellen: „Mit Herz“ soll die eigene Partei ihr Klientel bedienen (Metapolitik).

c) 'Arbeiter' in Opposition zu 'Identitätslinken'

Abweichend vom einfachen rechts-links Gegensatz (bei dem Rechte für sich beanspruchen, die Arbeiter konsequent zu vertreten und dies Linken absprechen) lässt sich beim Gebrauch der Ausdrücke auch eine andere Oppositionsstruktur erkennen: Arbeiter werden als Gegenentwurf zu Inhalten und Akteuren konstruiert, die sich als 'identitätslinks' bzw. 'Identitätslinke' zusammenfassen lassen. Gemeint sind damit Politikformen, die nicht das materielle Interesse bestimmter Bevölkerungsteile ins Zentrum rücken, sondern sich auf Identitätsmerkmale und Anerkennungsformen (in den Bereichen Gender, Ethnie, Geschlechtsidentität etc.) fokussieren. Insofern damit auch zwei gegensätzliche Bilder linker Politik entworfen werden, sollen Konflikte im linken (gegnerischen) Lager sichtbar gemacht und verstärkt werden. Somit stehen diese Gebrauchsmuster im Kontext von Strategien der Verzahnung. Das Posting der AfD-Ortsgruppe Heidelberg (Screenshot 5) stellt für diese Verwendungen ein typisches Beispiel dar.

  • Screenshot 5 Arbeiter
    Screenshot 5

IKONOGRAPHIE

  • Screenshot_6
    Screenshot 6

Die Bedeutung des politisch-strategischen Gebrauchs der Ausdrücke Arbeiter oder Arbeiterpartei wird in vielfältiger Form in Social-Media auch als Meme (Bild mit markantem Kurztext) realisiert. Screenshot 6 zeigt ein solches Meme, dass zwar auf die Wörter 'Arbeiter' oder 'Arbeiterpartei' verzichtet, allerdings ganz ähnliche Sichtweisen reproduziert, wie sie beim Gebrauch der Ausdrücke zu beobachten sind. Das Meme kombiniert fünf (Stock-) Fotos von Menschen an ihrem Arbeitsplatz, die größtenteils im Bereich der Industrie oder des Handwerks beschäftigt sind. Diesen werden in ironischer Überzeichnung Hoffnungen und Erwartungen an die Politik in den Mund gelegt, die für die reale Politik der SPD symptomatisch seien. Da es sich bei den vermeintlichen Hoffnungen um 'identitätspolitische' Forderungen handelt, wird auch hier eine Entfremdung der Parteien der politischen Linken von der Arbeiterschaft symbolisch konstruiert.

Zum Weiterlesen

  • Karina Becker, Klaus Dörre und Peter Reif-Spirek gehen der Frage einer Arbeiterbewegung von rechts nach: Becker, Karina; Dörre, Klaus; Reif-Spirek, Peter (Hg.) (2018): Arbeiterbewegung von rechts? Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte. Frankfurt am Main: Campus-Verlag.
  • Der Soziologe Klaus Dörre beschreibt das Verhältnis von Arbeiter*innen und die radikale Rechte: Dörre, Klaus (2020): In der Warteschlange. Arbeiter*innen und die radikale Rechte. Münster: Westfälisches Dampfboot.