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Symbolbild 'Argumente', drei Personen mit Sprechblasen

Argumentationsmuster: Konservative verlieren immer

'Konservative verlieren immer' ist eine Formel, die im rechten Social-Media-Diskurs weit verbreitet ist. Nach diesem Denkmuster grenzen sich Konservative, die zum Beispiel CDU wählen, nicht genug vom 'linken Zeitgeist` ab. Etablierten konservativen Parteien wird dabei eine Art Betriebsblindheit unterstellt: Trotz Wahlerfolgen könnten oder wollten sie nicht erkennen, dass sie eine Linksdrift der Gesellschaft unterstützen statt sie aufzuhalten. Nach dieser Lesart zählen zum Beispiel Konservative, die nichts gegen das Adoptionsrecht homosexueller Paare haben, zu 'Verlierern'. Dieser Artikel informiert über Hintergründe und Praxis solcher rechten Gedankengebäude.

Kurzüberblick

Mit der Formel ‚Konservative verlieren immer‘ wird ein Argumentationsmuster benannt, das im rechten Diskurs weite Verbreitung gefunden hat. Auch die Formel wird (teils mit geringen Abwandlungen) häufig in den sozialen Medien gepostet, wobei sie oft zur Kommentierung von Phänomenen dient, die das Argumentationsmuster bestätigen.

Im Kern beschreibt die Formel die Vorstellung, dass Konservative dazu neigen, sich dem ‚linken Zeitgeist‘ zu unterwerfen, der von Medien und Kultbetrieb und dem politischen Gegner geprägt werde. Sie seien daher unfähig dazu, eigene Positionen oder Standpunkte zu vertreten und durchzusetzen. Sie würden vielmehr immer nur den kontinuierlichen Linksdrift der Gesellschaft verlangsamen wollen. Konservative (in Deutschland typischerweise in Form der CDU oder der  ‚liberalen‘ Teile der AfD) könnten kein zutreffendes Bild der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse entwickeln und bezögen ihre Ziele aus idealisierten Vorstellungen der Vergangenheit. Da sich die Verhältnisse aber permanent weiter im Sinne des linken Zeitgeistes und des Globalismus verschöben, klammerten sich Konservative in einer defensiven Haltung ständig an gerade veraltete linke Ideale. Sie wollen somit – so das Argument – das gleiche wie Linke und Liberale, nur etwas langsamer.

Das Argumentationsmuster und das mit ihr verbundene politische Schlagwort ‚Cuckservatives‘ (siehe Beispiel a unten) konstruieren so Fraktionen im rechten Lager und vertiefen die Gräben zwischen diesen. Sie trennen Konservative und Rechte in den Teil, der mit den etablierten Kräften nicht brechen kann und auf mediale Bestätigung hofft und seinen Gegnern damit letzten Endes hilft, während das authentische rechte Lager jegliche Anbiederungen an den politischen Gegner oder den Zeitgeist unterlasse und gerade deswegen erfolgreich sein könne (wie die Erfolge der ostdeutschen AfD-Landesverbände zeigten, die viel stärker neurechts ausgerichtet seien). Die ‚Cuckservatives‘ gefährden aus neurechter Sicht den Erfolg des eigenen politischen Projektes und müssten daher, wo sie nicht durch Überzeugung zu gewinnen sind, zurückgedrängt werden.  

Hintergrund

Die Formel ‚Konservative verlieren immer‘ wurde im deutschsprachigen Raum primär durch einen Aufsatz des britischen neurechten Autors Alex Kurtagić bekannt gemacht (Kurtagić 2013). In das entsprechende Argumentationsmuster fließen aber auch Motive der traditionellen rechten Liberalismuskritik ein, wie sie etwa Autoren der ‚konservativen Revolution‘ wie Armin Mohler vertreten hatten (‚Gegen die Liberalen‘, Mohler 2010).

Kurtagićs Essay beschreibt die politischen Verhältnisse im angloamerikanischen Raum (in dem die politischen Lager andere Konturen haben als in Deutschland und entsprechende Begriffe wie ‚liberals‘ oder ‚conservatives‘ andere Bedeutungen haben als im Deutschen), aber seine Beschreibungen wurden bruchlos auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen. Konservative werden hier äußert negativ beschrieben: Sie sind alt, reagieren auf Veränderungen mit Angst und haben keine eigenen Ideen oder Ideale. Sie sind verlieren ständig gegen die Linken, worüber auch Wahlerfolge nichts ändern, die sie nicht zu nutzen wissen. „In den modernen westlichen Gesellschaften sind die Linken die Gewinner, die sich permanent ins Fäustchen lachen, während die Konservativen im stillen Kämmerlein weinen. […] Was man heute ‚Linke‘ und ‚Konservative‘ nennt, sind lediglich Spielarten ein- und desselben Produkts, das es in zwei Geschmacksrichtungen gibt: radikal und weniger radikal.“ (Kurtagić 2013: 32). Der moderne Konservatismus agiere „im Kontext einer nach links driftenden Gesellschaft, und er wird am Ende eben doch wieder in deren Fahrtrichtung geschleust. Diese Erkenntnis ist wesentlich, um zu verstehen, warum der moderne Konservatismus immer verliert, auch wenn diverse Wahlsiege die Illusion erzeugen, daß die Konservativen sogar recht häufig gewinnen“ […] Wer immer noch daran glaubt, er könne ‚sein Land zurückerobern‘,  indem er eine konservative Partei unterstützt, und dann verwundert ist, daß sie nicht imstande ist, den Siegeszug des Liberalismus aufzuhalten, hat das Wesen seiner Agenda noch nicht verstanden“ (Kurtagić 2013:33-34).

Dem Argumentationsmuster folgend wird Konservativen im rechten Diskurs vorgeworfen, dass sie sich nicht von ihrer Fixierung auf den etablierten Politikbetrieb und die linkslastigen Massenmedien lösen können, und somit immer in dem vom Gegner vorgegeben Rahmen verbleiben und mit dessen Kategorien agieren müssen. Konkret zeigt sich dies z.B. für (Neu-)Rechte dann, wenn Konservative Linke kritisieren, indem sie diesen vorhalten, die heutigen ‚echten Nazis‘ zu sein. Dies wird als Unterwerfung unter die Deutungsmuster des linken Gegners verstanden, der zur Absicherung seiner Macht alles Abweichende als nazistisch ausgrenze. Schädlich sei auch der Hang der Konservativen dazu, weiterhin Hoffnungen in die etablierten konservativen Parteien und Institutionen zu setzen. Konservative können sich aus rechter Sicht nicht von der Illusion lösen, dass die CDU ‚eigentlich‘ noch konservativ sei, und nur von liberalem Führungspersonal (um die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel) befreit werden müsse. Tatsächlich trügen sie damit aber dazu bei, dass unzufriedene Wähler bei der Union gehalten würden, die aber für die von ihnen abgelehnten Verhältnisse verantwortlich sei. Konservative gelten daher als Gefahr für den Erfolg des politischen Projektes der AfD.

Im deutschen rechten (Social-Media-) Diskurs gelten daher besonders die Unionsparteien sowie das ‚liberale‘ Lager in der AfD als ‚Verliererkonservative‘. Aber auch der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, konservative Journalisten wie etwa der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und seine Medienformate wie ‚Nius‘ oder Gruppen wie die ‚Werteunion‘ gelten bei vielen Rechten als typische ‚Cuckservatives‘.

Beispiele und Kontexte

a) Schlagwort in rechten Online-Diskursen: ‚Cuckservative‘

Eng mit dem Argumentationsmuster der verlierenden Konservativen verbunden ist das Schlagwort ‚Cuckservative‘. Damit werden im rechten Sprachgebrauch die idealtypischen Konservativen karikiert, deren Scheitern das Argument beschreibt. Das Kofferwort ‚Cuckservative‘ kombiniert dabei ‚Konservative‘ mit ‚Cuckolds‘, also (Ehe-)Männern, die Lust dabei empfinden, wenn ihre Partnerin intimen Kontakt mit anderen Menschen hat. Die als ‚Cuckservatives‘ verschmähten Konservativen ließen sich analog lustvoll vom politischen Gegner demütigen.  

In diesem Sinne stellt Screenshot 1 ein typisches Beispiel für den Gebrauch des Schlagwortes dar. Ein Medienbericht, dass der CDU-Vorsitzende das Adoptionsrecht für schwule oder lesbische Paare unterstützt, interpretieren rechte User als Beleg der Unterwürfigkeit von Merz und seinen Unterstützern unter einen ‚linken Zeitgeist‘. Der User kommentiert, dass er für diese ‚Cuckservatives‘ „null Respekt“ habe und dass es „keinerlei Kooperation mit diesem antideutschen CDU-Pack geben“ dürfe.

Die Vorstellung, dass Konservative in den vorgegeben Mustern des Gegners denken und agieren, drückt der in Screenshot 2 dokumentierte Tweet pointiert aus. ‚Cuckservatives‘ würden zuerst die CDU wählen um sich dann bei Linken dafür zu entschuldigen, „weil sie nicht gegendert haben“. 

  • Screenshot 1
    Screenshot 1: Schlagwort ‚Cuckservative‘
  • Screenshot 2
    Screenshot 2: Schlagwort ‚Cuckservative‘
  • Screenshot 3
    Screenshot 3: Schlagwort ‚Cuckservative‘
  • Screenshot 4
    Screenshot 4: Schlagwort ‚Cuckservative‘
  • Screenshot 5
    Screenshot 5: Schlagwort ‚Cuckservative‘
  • Screenshot 6
    Screenshot 6: Schlagwort ‚Cuckservative‘

b) ‚Konservative verlieren‘ in der innerparteilichen Auseinandersetzung in der AfD

Das Argumentationsmuster ‚Konservative verlieren‘ spielt auch eine zentrale Rolle bei der internen Auseinandersetzung konkurrierender Strömungen in der AfD. Hier sind es besonders die im engeren Sinne neurechten Parteikreise, die das Argument gegen die ‚liberalen‘ Parteikreise in Stellung bringen. Obwohl die Formel nicht sprachlich realisiert wird, ist das Beispiel aus Screenshot 7 hierfür typisch: Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch, die in neurechten Parteikreisen als exponierte Vertreterin der alten Parteiführung gilt, postete einen Tweet über Defizite bei der Deutschen Bahn. Die reagierte mit einem ironischen Tweet, in dem sie metaphorisch in die Wüste geschickt wurde. Rechte Akteure reagieren darauf nicht mit Solidarität, sondern werfen ihr vor, dass das Ziel, dem politischen Gegner „keine Angriffsfläche zu bieten“ (sich diesem also anzubiedern), nicht zum Ziel führe (wie der Tweet der Bahn belege). Nicht „Radikalismus, sondern CRINGE“ schade der Partei.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass bei den internen Richtungskämpfen das rechts-links-Schema gebrochen wird: Denn den ‚Liberalen‘ in der AfD wird hier auch vorgehalten, dass ihre unterkomplexe Ablehnung linker Inhalte zum Scheitern beitrage (Screenshot 10). Unausgesprochen steht die Position im Hintergrund, dass (alte) linke Inhalte von einer ‚sozialen Rechten‘ reflektiert und aufgenommen werden müssten (Semantische Aneignung). Gleiches gilt für die Zurückweisung der Kritik am Antikapitalismus, die der konservative Medienwissenschaftler Norbert Bolz äußerte (Screenshot 11) Analog wird auch die transatlantische Ausrichtung, die ein (aus neurechter Sicht) unkritische Bild der USA und ihrer Rolle als ‚Schutzmacht‘ Deutschlands beinhaltet, kritisiert (Screenshot 8). Maximilian Krah zufolge zögen Konservative „die alte Legende [.] der neuen Wirklichkeit“ vor.  

  • Screenshot 7
    Screenshot 7: ‚Konservative verlieren‘ in der Auseinandersetzung in der AfD
  • Screenshot 8
    Screenshot 8: ‚Konservative verlieren‘ in der Auseinandersetzung in der AfD
  • Screenshot 9
    Screenshot 9: ‚Konservative verlieren‘ in der Auseinandersetzung in der AfD
  • Screenshot 10
    Screenshot 10: ‚Konservative verlieren‘ in der Auseinandersetzung in der AfD
  • Screenshot 11
    Screenshot 11: ‚Konservative verlieren‘ in der Auseinandersetzung in der AfD

Zitierte Literatur

  • Kurtagić, Alex (2013): Warum Konservative immer verlieren. Schnellroda: Antaios (=Kaplaken 35).
  • Mohler, Armin (2010): Gegen die Liberalen. Schnellroda: Antaios (=Kaplaken 21).