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Schlagwörter: Frieden

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat ein Teil der rechten Gruppen begonnen, sich als Friedenspartei zu inszenieren. Vorher hatten sie dieses Feld kaum besetzt. Mit dem Werben um `Frieden' dringen sie bewusst auf das klassische Terrain von Linken und Grünen mit ihren pazifistischen Traditionen vor. Dieser Artikel zeigt, wie die Neue Rechte den Friedensbegriff bewusst vereinnahmt und für ihr Lager umdeutet. Beobachtet wird hier der Untersuchungszeitraum von November 2021 bis März 2022.

Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)


Verknüpft mit: Verzahnung


Diskurscommunities: bürgerlich-rechts, AfD und JF


Version: 0.8 (24.08.2023), Überarbeitung 19.02.204

Der Begriff 'Frieden' kann als allgemeiner Wert verstanden werden, zu dem sich praktisch alle politischen Gruppierungen bekennen. Friedenspolitik und pazifistische oder antimilitaristische Standpunkte werden üblicherweise jedoch mit linker oder Grüner Politik verknüpft, während das Interesse am 'Frieden' im rechten Diskurs lange eher gering war. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine ab Februar 2022 und der durch die Regierungskoalition geleisteten militärischen Unterstützung lassen sich vermehrt Versuche von rechten Akteuren beobachten, das Thema und den Begriff zu besetzten. Rechte Akteure reagieren hierbei sehr kurzfristig auf sich ändernde Rahmenbedingungen und adaptieren Positionen und Begriffe, für die sie sich zuvor eher wenig interessierten.

 

Häufigkeitsprofil

Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre).

Die Verteilung der Gebrauchshäufigkeiten in den unterschiedlichen Communities zeigt, dass der Ausdruck in allen Gruppen im Sprachgebrauch präsent ist. Auffällig sind hohe Werte in der bürgerlich-rechten Community. Weiterhin findet sich bei der AfD eine hohe Gebrauchsfrequenz des Ausdrucks im Untersuchungszeitraum, was verdeutlicht, dass sich diese Community mit dem Begriff beschäftigt. Es liegt nahe, hierbei auch an Versuche zu denken, den Begriff für die Partei zu besetzen (unten dazu mehr). 

Kollokationen

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    Abbildung 1 Kollokationsprofil Frieden

Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis in verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Sprechergruppen mit anderen Bedeutungen verwendet. Um diese unterschiedlichen Gebrauchsmuster beschreiben zu können, ist das Umfeld aufschlussreich, in dem das untersuchte Wort vorkommt. Hierbei ist besonders relevant, mit welchen anderen Ausdrücken das untersuchte Wort besonders häufig (und statistisch überdurchschnittlich oft) gemeinsam verwendet wird. Diese häufige Verbindung zweier Ausdrücke nennt man in der Sprachwissenschaft Kollokation oder Kookkurrenz. Die unten stehende Tabelle zeigt die wichtigsten Kookkurrenzen der Suchausdrücke sortiert nach Signifikanz, also danach, wie stark überdurchschnittlich die Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens ist. Grundlage ist unser User-Korpus, das die rechte Twittersphäre abbildet (genauere Informationen zu unserer Datengrundlage finden sich auf der Seite über das Projekt). 

Die Kontexte, in denen der Ausdruck Frieden in unserem Korpus verwendet werden, zeigen, dass dieser häufig in Paarformeln gebraucht wird: Demonstrationen (insbesondere die sogenannten „Montagsspaziergänge“) setzten sich für „Frieden und Freiheit“ (1) ein, Nachrichten vom Tod bestimmter Personen werden häufig mit „Ruhe in Frieden“ (3) kommentiert oder die Diskussionen um Waffenlieferungen an die Ukraine seitens der westlichen Staaten mit der Formel „Frieden schaffen ohne Waffen“ (6) kommentiert. „Frieren für den Frieden“ (8) ist eine Formel, mit der sarkastisch auf die unsichere Versorgungslage bezuggenommen wurde, die aus der Unterbrechung der Energielieferungen aus Russland nach dem Kriegsbeginn resultierten (und die die Missbilligung der Sanktionsmaßnahmen gegen Russland beinhaltet).

Auffällig sind weiterhin Muster, die einen Sprachgebrauch im Kontext der Thematisierung von Motiven aus George Orwells 1984 anzeigen: Das Zitat „Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“ (1, 2, 10, 13, 14) wird vielfach (teils abgeändert) in den sozialen Medien gepostet, wobei die im dystopischen Roman geschilderte Umdeutung zentraler Kategorien der Sprache und des Denkens (Newspeak und Doublethink) auf die vorhandene gesellschaftliche Situation bezogen wird (vgl. dazu unten).

Typische Verwendungsweisen

a) Frieden als allgemeiner Hochwert im Kontext fragiler politischer Zuordnungen

Dominant sind Verwendungen des Ausdrucks 'Frieden', in denen Unklarheit im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zu den politischen Lagern geäußert wird, die insbesondere durch die Positionierung von Politiker:innen der Regierungsparteien (die sich besonders im Falle der Grünen traditionell als pazifistisch verstanden haben) begründet werden (vgl. z.B. Screenshots 3 und 4). Rechte Akteure behaupten eine Neuzuordnung der Friedenspolitik und inszenieren sich als neue Vertreter der Friedenspolitik und hierin als Nachfolger grüner oder linker Parteien. Dabei wird vorausgesetzt, dass die von der Regierung praktizierte Unterstützung der Ukraine den Frieden gefährde. So behauptet etwa der Vorsitzende der NPD (heute: „Die Heimat“), dass das "Establishment […] mit dem Ziel eines Weltkrieges immer weiter zündel[e]“ während sie Gegnern dieses Kurses wie ihm vorwerfen, ‘nichts aus der Geschichte gelernt zu haben’ (Screenshot 1). Der Europaabgeordnete der AfD Maximilian Krah freut sich ganz offen darüber, dass die Linke mit dem Frieden ‘nach der Solidarität nun schon das zweite große Thema [aufgebe], um die woke Macht nicht zu reizen.’ Beide Themen wären jetzt 'rechts' (Screenshot 5).

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    Screenshot 1 Frieden
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    Screenshot 2
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    Screenshot 3 Frieden
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    Screenshot 4 Frieden
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    Screenshot 5 Frieden

Es wird hier deutlich, dass rechte Akteure, die vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine nicht durch ausgeprägtes Interesse an Friedenspolitik aufgefallen sind, situativ und reaktiv ihr Diskurshandeln und ihre Positionierungen an sich ändernde Kontexte anpassen. Hier lassen sich Versuche erkennen, die Grenzen zwischen den politischen Lagern gezielt zu verwischen und Irritationen im Hinblick auf die politischen Positionen gezielt zu befördern (Verzahnung). Typisch ist in diesem Kontext das Posting des AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla, der öffentlich bekundet, die von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, also seinen politischen Gegnern, initiierte „Petition für den Frieden“ gezeichnet zu haben (‚für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein‘, Screenshot 7). Auch der schon genannte Maximilian Krah behauptete im April 2022, dass der ‚verantwortungsvolle Kurs‘ der AfD zum Ukrainekrieg auch 'Skeptiker' der Partei überzeuge (Screenshot 6). Im Februar 2023 wertete er die hohe Anzahl Teilnehmer:innen bei der von Wagenknecht und Schwarzer initiierte Demonstration als „starkes Zeichen“. Er spricht sich für eine Friedensbewegung aus und behauptet, Frieden sei „kein rechts-links Thema mehr, sondern ein Beleg für die Überwindung des Schemas“ (vgl. Screenshot 8).

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    Screenshot 6 Frieden
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    Screenshot 7
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    Screenshot 8 Frieden
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    Screenshot 9 Frieden

b) 1984

Bereits bei der Betrachtung der Gebrauchskontexte, in denen 'Frieden' verwendet wird (siehe oben), war aufgefallen, dass Bezugnahmen auf George Orwells dystopischen Roman 1984 sehr häufig zu beobachten sind und in Mustern gepostet werden. Sehr verbreitet sind Zitate der Parolen „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“, die im Roman von einem 'Ministerium für Wahrheit' ausgehen, das die Bevölkerung eines fiktiven Staates rigoros überwacht und manipuliert. Im Social-Media-Diskurs werden diese dystopischen Schilderungen auf die aktuelle gesellschaftliche Situation übertragen und (insbesondere) den Regierungsparteien oder öffentlich-rechtlichen Medien unterstellt, eine vergleichbare Realitätsverzerrung zu betreiben.

 

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    Screenshot 10 Frieden
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    Screenshot 11 Frieden
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    Screenshot 12 Frieden
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    Screenshot 13
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    Screenshot 14

Häufigkeitsverlauf

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    Abbildung 2 Frequenzverlauf Frieden

Der Häufigkeitsverlauf des Ausdrucks 'Frieden' in unserem Korpus belegt, dass der Begriff extremen Konjunkturen unterliegt. Die Häufigkeitswerte in der ersten Hälfte unseres Untersuchungszeitraumes (bis ca. Ende Januar 2022) zeigen eher unauffällige Werte. Insbesondere die ersten Wochen zeigen Gebrauchshäufigkeiten, die (weitgehend) unbeeinflusst von aktuellen Ereignissen um den Krieg in der Ukraine sind. Besonders in den Wochen um den russischen Einmarsch ab Februar 2022 steigt die Gebrauchshäufigkeit sehr stark an, um auch bis zum Ende des Untersuchungszeitraum auf deutlich höheren Niveaus zu verbleiben.

Zum Weiterlesen:

  • Klinker, Fabian; Marschner, Noah; Patz, Janine; Richter, Christoph (2022): „Frieden statt ‚GRÜN‘!“. Rechte Instrumentalisierungen des Ukraine-Krieges gegen Klimapolitik und Energiewende bei Twitter. Hg. v. Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Online verfügbar unter https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Kurzanalyse_Frieden_statt_GRUEN_WEB.pdf.