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Schlagwörter: Migration, Flüchtlinge, Bevölkerungsaustausch

Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)


Verknüpft mit: Volk, soziale Frage, Demokratie 


Diskurscommunities: Liberal-Konservative, AfD und Junge Freiheit


Version: 0.8 (24.10.2022), Überarbeitung 19.02.204

Das Thema Flucht und Migration hat für die Rechte eine überragende Bedeutung. Viele rechte Akteure beschreiben das Themenfeld als zentrales Problem der Gegenwart und die Beendigung des Zuzuges von Menschen nach Deutschland als wichtigstes politisches Ziel der Rechten. Migration wird im rechten Diskursumfeld praktisch ausschließlich negativ charakterisiert. Sie führe insbesondere zu Verschlechterungen der inneren Sicherheit (siehe unten 'Einzelfall') und sei eine große wirtschaftliche und gesellschaftliche Belastung. Oft wird Migration auch als Bedrohung der ethischen Struktur der Gesellschaft gezeichnet, der der 'Austausch' durch 'Ersetzungsmigranten' drohe (siehe unten 'Der Große Austausch').

Häufigkeitsprofil

Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre.

Die Häufigkeitsverteilung der Ausdrücke 'Migration', Flüchtlinge' und 'Invasion' zeigt ungleiche Gebrauchshäufigkeiten in den verschiedenen Communities der rechten Twittersphäre: Beim Sprechen über 'Flüchtlinge' zeigen besonders die liberal-konservativen und (mit Abstichen) die AfD hohe Werte, während z.B. die Neue Rechte deutlich darunter liegt. Interessanterweise zeigen die Werte bei 'Migration' diesen Unterschied nicht. In der Gruppe der 'Corona-Kritiker' wird signifikant seltener über Migration oder Flüchtlinge gesprochen, als in der sonstigen rechten Twittersphäre.

Kollokationen

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    Abbildung 1: Kollokationsprofil 'Migration'

Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis in verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Sprechergruppen mit anderen Bedeutungen verwendet. Um diese unterschiedlichen Gebrauchsmuster beschreiben zu können, ist das Umfeld aufschlussreich, in dem das untersuchte Wort vorkommt. Hierbei ist besonders relevant, mit welchen anderen Ausdrücken das untersuchte Wort besonders häufig (und statistisch überdurchschnittlich oft) gemeinsam verwendet wird. Diese häufige Verbindung zweier Ausdrücke nennt man in der Sprachwissenschaft Kollokation oder Kookkurrenz. Die unten stehende Tabelle zeigt die wichtigsten Kookkurrenzen der Suchausdrücke sortiert nach Signifikanz, also danach, wie stark überdurchschnittlich die Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens ist. Grundlage ist unser User-Korpus, das die rechte Twittersphäre abbildet (genauere Informationen zu unserer Datengrundlage finden sich auf der Seite über das Projekt). 

Das Kollokationsprofil von 'Migration' zeigt, dass diese in unseren Daten üblicherweise negativ beschrieben wird: Migration wird auffällig oft als 'illegale' (1) Migration konkretisiert, die 'unkontrolliert' (3) stattfinde. Migration wird als 'Waffe' (9) beschrieben (die gegen die Gesellschaft oder den Staat gerichtet werden kann). Sie finde typischen Sprechweisen zufolge in die 'Sozialsysteme' (15) statt und ist ein Problem für die 'Sicherheitsbehörden' (18). Migration wird meist ironisch als (kulturelle) 'Bereicherung' (14) beschrieben.

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    Abbildung 2: Kollokationsprofil 'Flüchtlinge'

Ein ähnliches Bild zeigen die Kontexte, in denen über Flüchtlinge gesprochen wird. Auch hier überwiegen negative Wertungen, die sich etwa daran zeigen, dass Anführungszeichen auffallend häufig im Kontext des Wortes verwendet werden (2). Die Anführungszeichen funktionieren hier meist als Distanzmarker, so dass die Sprecher:innen signalisieren, dass es sich nicht um 'echte' Flüchtlinge handele. Weiterhin dominiert das Sprechen über die 'Aufnahme' (1, 19) von Flüchtlingen. Im Diskurs dominierte in unserem Untersuchungszeitraum das Sprechen über afghanische, syrische und besonders ukrainische (10, 12, 4) Flüchtlinge. Verbreitet ist die (Hervorhebung der) Unterscheidungen von Flüchtlingen und 'Migranten' (5). 'Minderjährige' (16) (unbegleitete) Flüchtlinge stellen ein häufig genanntes Thema in der rechten Onlinesphäre dar.

a) Der 'Große Austausch', 'Bevölkerungsaustausch'

Ein verbreitetes Argumentationsmuster im Kontext des Sprechens über Migration und Flucht im rechten Diskurs ist der 'große Austausch' (oder praktisch bedeutungsgleich: 'Bevölkerungsaustausch', 'Ersetzungsmigration'). Es handelt sich hierbei um ein rechtes Schlagwort bzw. einen Kampfbegriff, mit dem eine bestimmte Sichtweise auf Migration artikuliert wird. Der Ausdruck wurde vom neurechten französischen Theoretiker Renaud Camus in einem gleichnamigen Buch ('Le grand remplacement') aus dem Jahr 2011 in Bezug auf die französische Gesellschaft geprägt (deutsche Übersetzung vgl. Camus 2016). Insbesondere die Identitäre Bewegung machte den Begriff und die damit verbundene Theorie zum Kern ihrer politischen Weltanschauung und verbreite den Ausdruck im deutschsprachigen Raum.

Der Begriff beschreibt aus rechter Sicht die demographischen Veränderungen in den westlichen Gesellschaften, wobei geringe Geburtenraten der 'einheimischen' Bevölkerung und gleichzeitiger hoher Zuzug von Migranten dazu führe, dass die ethnische Struktur der Gesellschaft so weit verändert wird, dass im Ergebnis das bestehende Volk durch ein neues 'ausgetauscht' werde. Der Begriff beschreibt zunächst den demographischen Prozess, ist aber darüber hinaus mit bestimmten Vorstellungen verknüpft: Vorausgesetzt wird ein Volksbegriff, der sich nicht auf die Staatsbürgerschaft bezieht, sondern Völker als ethnisch-kulturell gewachsene Kollektive ansieht. Weiter wird davon ausgegangen, dass der Bevölkerungsaustausch im Interesse der 'Eliten' sei und den Interessen des multinationalen Kapitals folge und gezielt betrieben werde. Von politischen Gegner oder vielen Wissenschaftlern wird die Idee des 'großen Austauschs' als Verschwörungstheorie bezeichnet und seine Verwendung gilt im öffentlichen Diskurs oft als Bekenntnis zu rechtsextremen Anschauungen.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Gebrauch des Ausdrucks im rechten Onlineforum zu verstehen: Viele rechte User verwenden den Begriff zustimmend und versuchen, die mit dem Ausdruck bezeichneten demographischen Verschiebungen als 'Tatsache' oder 'Fakt' auszuweisen (vgl. Screenshots 2-4). Für Neurechte und ihr Umfeld ist der 'große Austausch' das heute bestimmende politische Problem und seine Bekämpfung hat die höchste Priorität (vgl. Screenshot 5). Angesichts der zentralen Bedeutung des Begriffes für Teile des rechten Milieus sind auch metasprachliche Debatten über den Ausdruck zwischen Angehörigen verschiedener Strömungen zu beobachten (vgl. Screenshot 7). Schließlich lässt sich auch beobachten, dass einige Vertreter:innen der AfD den Ausdruck bewusst vermeiden (oder sich sogar öffentlich von ihm distanzieren), um weniger Angriffsfläche für politische Gegner zu bieten (vgl. Screenshot 8).

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    Screenshot 1: Der Große Austausch
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    Screenshot 2: Der Große Austausch
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    Screenshot 3: Der Große Austausch
  • 6_Screenshot_4_Migration
    Screenshot 4: Bevölkerungsaustausch
  • 7_Screenshot_5_Migration
    Screenshot 5: Der Große Austausch
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    Screenshot 6: Der Große Austausch
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    Screenshot 7: Demographischer Wandel

b) 'Migrantenkriminalität', 'Einzelfall'

Ein häufiger Anlass für die Thematisierung von Migration sind im rechten Social-Media-Diskurs Berichte über Kriminalfälle, die (vermeintlich oder tatsächlich) von Migranten oder Flüchtlingen begangen wurden. Hierbei wird eine starke Überrepräsentation von Migranten bei Delikten behauptet oder unterstellt. Häufig werden diese (Presse-)Berichte ironisch als 'Einzelfall' kommentiert, was den angeblichen Sprachgebrauch des politischen Gegners aufnehmen soll, denen eine Relativierung von Gewalttaten durch Migranten als 'Einzelfall' unterstellt wird. Tatsächlich seien die 'Einzelfälle' an der Tagesordnung, so dass diese Sprechweisen eine durch Migration massiv verschärfte Sicherheitslage in Deutschland behaupten. Derartige Deutungen werden z.B. auch von der AfD befördert, die etwa einen 'Einzelfallticker' betreibt, der (vermeintliche) 'Einzelfälle' auflistet und diese als Massenphänomen erscheinen lässt (vgl. Screenshot 8).

Interessant sind Posts, in denen dieser Sprachgebrauch ironisch aufgegriffen wird, durch einen veränderten Kontext aber die damit verbundene Deutung umkehren. So kommentiert ein Landesverband der Linken eine Meldung über rechtsextreme Strukturen in der Polizei bzw. Kommunalpolitik ironisch als 'Einzelfall' (vgl. Screenshot 14).

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    Screenshot 8: Einzelfall
  • 11_Screenshot_9_Migration
    Screenshot 9: Einzelfall
  • 12_Screenshot_10_Migration
    Screenshot 10: Einzelfall
  • 13_Screenshot_11_Migration
    Screenshot 11: Einzelfall
  • 14_Screenshot_12_Migration
    Screenshot 12: Einzelfall
  • 15_Screenshot13_Migration
    Screenshot 13: Einzelfall
  • 16_Screenshot_14_Migration
    Screenshot 14: Einzelfall

Zitierte Literatur

  • Camus, Reanud (2016): Revolte gegen den Großen Austausch. Schnellroda: Antaios (Übersetzung der frz. Erstausgabe 2011).

 

Zum Weiterlesen:

Helmut Kellershohn beschreibt die Hintergründe des Gebrauchs von ‚Umvolkung‘ als Kampfbegriff im rechten Diskurs: 

  • Kellershohn, Helmut (2016): Umvolkung. In: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag, S. 282-297.

Thomas Witzgall beschreibt, wie die Identitäre Bewegung "Remigrations"-Demonstrationen abhält:

  • Witzgall, Thomas (2023): "Remigrations"-Demonstration der Identitären Bewegung. Neurechtes Milieu will (wieder) Millionen Menschen loswerden. Hg. v. Endstation Rechts. Online verfügbar unter https://www.endstation-rechts.de/news/neurechtes-milieu-will-wieder-millionen-menschen-loswerden.

Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ) bietet ein kurzes ‚Fact Sheet‘ an, das sich dem ‚Großen Austausch‘ widmet: