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Schlagwörter: Volk

Der Ausdruck 'Volk' im rechten Online-Diskurs: Ein Ausdruck mit mehreren Bedeutungen. Hier geht es darum, wie das 'einfache Volk' als Zielgruppe der AfD, das ethnische deutsche 'Volk' als zentrales Element rechter Theorien oder wie der Volksbegriff als heikler Anlass der Beobachtung durch den Verfassungsschutz fungiert. Im Artikel erfahren Sie mehr über einen zentralen Baustein rechter Rhetorik, in der der Begriff 'Volk' als Identifikationsanker dient, aber auch Gefahren bietet.

Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)


Verknüpft mit: Populismus, Bevölkerungsaustausch, Migration und Einwanderung


Diskurscommunities: Neue Rechte, AfD und JF, liberal Konservative


Version: 0.8 (24.08.2023), Überarbeitung 19.02.2024

Kurzüberblick

'Volk' ist im rechten (Social-Media-)Diskurs in mehrfacher Hinsicht ein höchst relevanter Ausdruck: 1. Stellt das (einfache) 'Volk' die primäre Adressatengruppe populistischer Politiken und Kommunikationsweisen dar, so dass der Ausdruck in dieser Rolle häufig in der populistischen Wähler:innenansprache z.B. der AfD gebraucht wird. 2. ist 'Volk' ein zentraler Terminus im Kontext rechter Theorie- und Programmdebatten. Hierbei wird das 'Volk' nicht als die Gesamtheit aller Staatsbürger:innen konstruiert, sondern im Gegensatz hierzu als geschichtlich, kulturell oder biologisch aufgeladen. 3. Hat der Ausdruck eine besondere Brisanz im Sprachgebrauch rechter Akteure, da er im Zentrum der Debatte um die Beobachtung der AfD (bzw. bestimmten Gruppierungen in der AfD) und weiterer Institutionen des rechten Milieus durch den Verfassungsschutz steht. Die Berufung auf einen 'ethnischen Volksbegriff' ist das zentrale Kriterium, mit dem der Verfassungsschutz die Beobachtung der AfD begründet und legitimiert, womit der Umgang mit dieser Kategorie für die AfD und andere rechte Gruppierungen eine hoch sensible Angelegenheit geworden ist: Auf der einen Seite kann und will man nicht auf den Begriff verzichten, da er einen Kernbereich der rechten Programmatik benennt. Auf der anderen Seite wollen aber viele rechte Akteure auch keine unnötige Angriffsfläche bieten, die eine offensive Berufungen auf das (ethnische) Volk und damit verbundene Ausgrenzungen darstellen könnten.

HÄUFIGKEITSPROFIL

  • Häufigkeitsprofil Volk

Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre.

Die Gebrauchshäufigkeit des Ausdrucks unterscheidet sich zwischen den unterschiedlichen Communities des rechten Milieus nicht sehr stark. Höchste Werte zeigen sich (wenig überraschend) bei der AfD und der Neuen Rechten, bürgerlich-rechtes und liberal-konservatives Lager verzeichnen leicht geringere Häufigkeiten. Der Ausdruck ist (mit Bedeutungsunterschieden) im gesamten rechten Diskurs zentral.

Kollokationen

  • Abbildung 1 Kollokation, Volk, Ethnie, Ethnopluralismus
    Abbildung 1: Kollokationen 'Volk'

Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis in verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Sprechergruppen mit anderen Bedeutungen verwendet. Um diese unterschiedlichen Gebrauchsmuster beschreiben zu können, ist das Umfeld aufschlussreich, in dem das untersuchte Wort vorkommt. Hierbei ist besonders relevant, mit welchen anderen Ausdrücken das untersuchte Wort besonders häufig (und statistisch überdurchschnittlich oft) gemeinsam verwendet wird. Diese häufige Verbindung zweier Ausdrücke nennt man in der Sprachwissenschaft Kollokation oder Kookkurrenz. Die unten stehende Tabelle zeigt die wichtigsten Kollokationen der Suchausdrücke sortiert nach Signifikanz, also danach, wie stark überdurchschnittlich die Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens ist. Grundlage ist unser User-Korpus, das die rechte Twittersphäre abbildet (genauere Informationen zu unserer Datengrundlage finden sich auf der Seite über das Projekt). 

Beim Blick auf die typischen Kontexte, in denen der Ausdruck auf Twitter verwendet wird, fällt ein Aspekt besonders deutlich auf: Der Ausdruck 'Volk' wird sehr häufig im Kontext der Konstruktion von Gegensätzen herangezogen, bei denen dem 'Volk' eine andere Gruppe entgegengesetzt wird. So impliziert die Kennzeichnung als 'eigenes' (2, 5, 16) Volk das Vorhandensein eines nicht-eigenen, fremden Volkes, von dem unterschieden wird. Typisch in diesen Gegensatzkonstruktionen sind Behauptungen, dass von der 'Regierung' (3) das eigene Volk missachtet werde und eine Politik 'gegen das Volk' (4) und seine Interessen geführt werde.

In den meisten Fällen wird beim Vorkommen des Ausdrucks über das 'Deutsche' (1, 6, 8) Volk gesprochen, während Verwendungen des Wortes in Sinne des 'einfachen Volkes' (19) im Vergleich dazu seltener sind. Interessanterweise taucht neben dem deutschen nur das 'russische' Volk (17) unter den häufigsten Kollokationen auf. Semantisch verknüpft wird das Volk mit 'Heimat' (22) oder dem 'Vaterland' (20) und es erscheint als (eigentlicher) Souverän (12) der Politik und der Regierung (3) (auch die bekannte Parole „Wir sind das Volk!“ (11) steht in diesem Kontext). Den Bezug auf das Volk als Staatsvolk deutet sich bei Vorkommen im Kontext des Sprechens über Wahlen an (10). Auffällig ist weiterhin, dass die signifikantesten Kollokationen praktisch immer auf positiven Gebrauch des Ausdrucks hinweisen. Allein die Rede über das 'dumme' (18) Volk weicht hiervon ab (wobei hier teils ironische oder sarkastische Verwendungen zu beobachten sind).

Typische Verwendungsweisen

a.) Das 'einfache Volk' als Adressat und Souverän

In der häufigsten zu beobachtenden Bedeutungsvariante des Ausdrucks taucht das Volk in der Twitter-Kommunikation als Adressat der politischen Bestrebungen rechter Akteure auf. Dem 'Volk' wird hierbei eine 'Elite' (oder ein 'Establishment') in Politik und Medien entgegengestellt, die das Volk verachte und sich immer weiter von diesem entkoppele. Das 'Volk' wird als eigentlicher Souverän charakterisiert, dessen Interessen jedoch von der etablierten Politik ignoriert oder aktiv durchkreuzt werden. Diese Bedeutungsvariante ist ein Grundcharakteristikum populistischen Sprachgebrauchs. Mit dieser Variante verbunden sind häufig zu beobachtende Verwendungen von Stigmawörtern wie 'Volksverräter' (vgl. Screenshot 2), mit denen etablierte Politiker:innen (primär der Regierungsparteien) oder Medienschaffende bezeichnet werden. Auch die Parole „Wir sind das Volk!“, die sich rechte Gruppen zu eigen gemacht haben und häufig verwenden, bedient diese Sichtweise.

Das 'Volk' wird hierbei, anders als oft behauptet wird, nicht immer ungebrochen positiv gezeichnet: Auch wenn es oft ungebrochen als ehrlich, fleißig und gutmütig daherkommt, wird es vielen Fällen auch als behäbig und gutgläubig bezeichnet. Das 'Volk' müsste sich aus der Sicht vieler rechter User gegen die für es schädlich Verhältnisse auflehnen und Widerstand leisten (oder zumindest andere Wahlergebnisse erzeugen als die faktischen), tatsächlich bliebe es aber passiv und trage die Verhältnisse mit. Dies wird auch deutlich am abwertenden Gebrauch von Ausdrücken wie 'Normies' oder 'NPCs', mit denen die Durchschnittsbevölkerung bezeichnet wird, die für rechte Sichtweisen nicht zu erreichen ist. Im Extremfall wird das 'Volk' so auch als Teil des Problems charakterisiert, wie ein Tweet eines AfD-Spitzenpolitikers (Screenshot 1) exemplarisch zeigt.

  • 2_Screenshot_1_Volk
    Screenshot 1
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    Screenshot 2
  • 4_Screenshot_3_Volk
    Screenshot 3
  • 5_Screenshot_4_Volk
    Screenshot 4

b) 'Volk' als Ethnie in neurechter Weltanschauung

Der Volksbegriff ist einer der zentralen Grundbegriffe im neurechten Diskurs. Die Bewahrung des 'deutschen Volkes', dessen Existenz als bedroht angesehen wird (primär durch Migration oder den „großen Austausch“), kann als politisches Hauptziel der Neuen Rechten und von ihr beeinflusster Kreise bezeichnet werden. Charakteristisch sind hier Formulierungen Björn Höckes in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“: Höcke äußert hier, dass die Rechte ganz selbstbewusst darauf hinweisen sollte, "dass die Kategorie ,Volk' der zentrale Orientierungspunkt in unserem politischen Denken und Handeln ist. Und daß das Eigene an erster Stelle kommt.“ (Höcke 2018: 133). Trotz dieser zentralen Stellung im (neu-)rechten Denken wird der Begriff selten klar definiert, was Höcke unumwunden zugibt: Was ein Volk sei, könne man "nicht mit mathematischer Exaktheit sagen". Man könne „das Phänomen des Volkes nur umschreiben, um es faßbarer zu machen.“ Das Volk sei zu verstehen als „eine dynamische Einheit aus Abstammung, Sprache, Kultur und gemeinsam erlebter Geschichte“ (Höcke 2018: 127). Auch bei anderen neurechten Autor:innen finden sich ähnliche Formulierungen, denen zufolge der Begriff 'Volk' (oder konkret das deutsche Volk) eine mystische oder esoterische Dimension hat: Was das Volk ist, kann man für Neurechte kaum rational definieren, sondern man muss es 'fühlen'.

Trotz dieser Unbestimmtheit ist klar, dass der Volksbegriff im neurechten Diskurs vom Staatsvolk abgegrenzt und diesem entgegengestellt wird: Das 'Volk' wird verstanden als eine vorpolitische Kategorie, die nicht erst durch den Staat oder die Verfassung entsteht. Ins 'Volk' fließen für Neurechte verschiedene Dimensionen ein, etwa eine geteilte Kultur und Sprache und gemeinsam erlebte Geschichte. Und das 'Volk' wird als 'Abstammungsgemeinschaft' verstanden und hat somit auch eine biologische Komponente. Auch wenn im neurechten Diskurs immer wieder betont wird, dass Völker nicht klar abgegrenzt seien und Austausch mit anderen (benachbarten) Völkern stattfinde (Völker also nicht 'ethnisch rein' seien), können Menschen mit Migrationshintergrund für Neurechte nur sehr eingeschränkt Teil des deutschen Volkes werden. Insbesondere die Erlangung der Staatsbürgerschaft spielt hierbei kaum eine Rolle. In der Social-Media-Kommunikation zeigen sich derartige Vorstellungen etwa beim abfälligen Sprechen über 'Passdeutsche', was klar zeigt, dass zugewanderte neue Staatsbürger:innen nicht als gleichwertige Mitglieder des eigenen Volkes betrachtet werden.

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    Screenshot 5
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    Screenshot 6
  • 8_Screenshot_7_Volk
    Screenshot 7
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    Screenshot 8

c)    'Volk' im Kontext der (drohenden) Beobachtung durch den Verfassungsschutz

Eine besondere Brisanz hat die Verwendung des Begriffs insbesondere für Vertreter:innen der AfD und der Jungen Alternative, da (drohende oder bereits praktizierte) Beobachtungen durch Verfassungsschutzbehörden (der Länder und des Bundes) oder die Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ sich darauf stützen, dass die AfD einen 'ethnischen Volksbegriff' vertrete. Diese Einschätzung wird von Vertreter:innen der AfD in den sozialen Medien kaum abgestritten. Abgelehnt wird die Einschätzung des Verfassungsschutzes, dass ein 'ethnischer Volksbegriff' inkompatibel mit der Verfassung sei. Die Annahme eines ethnischen deutschen Volkes sei im Gegensatz 'völlig normal' und werde auch weltweit praktiziert (vgl. z.B. Screenshot 9).

Aus diesem Spannungsfeld folgt, dass einige AfD-Vertreter:innen trotzig auf ihrer Position zum Volk beharren und dies auch demonstrativ äußern (vgl. Screenshot 10). Andere meiden diese für die AfD brisanten Begriffe und wollen auch insbesondere durch den Verzicht auf Ausdrücke wie 'Passdeutsche' keine unnötigen Anlässe für (verstärkte) Beobachtungen liefern. Ausdruck der wahrgenommenen Brisanz durch Vertreter:innen der AfD ist auch eine „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, das führende Parlamentarier:innen der AfD 2021 veröffentlicht haben. Vor dem Hintergrund drohender Verschärfungen der Beobachtung der Partei inszeniert sich die AfD hier als „Rechtsstaatspartei“, die konsequent zum Grundgesetz stehe. Als Staatsvolk beschreibt die AfD hier die "Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen". Gleichzeitig bekennt sich die AfD zum Ziel, „das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen“ langfristig zu erhalten (AfD 2021).

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    Screenshot 9
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    Screenshot 10

Verlauf

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    Abbildung 2

Der Häufigkeitsverlauf im Untersuchungszeitraum zeigt, dass der Ausdruck durchgehend verwendet wird. Bei einigen tagespolitischen Ereignissen zeigen sich auffällige hohe Ausschläge.

Literatur

  • Höcke, Björn (2018): Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig. Lüdinghausen und Berlin: Manuscriptum.
  • Alternative für Deutschland (2021): Grundsatzbeschluss Bundesvorstand zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität. Berlin. Online verfügbar unter https://www.afd.de/staatsvolk/, letzter Zugriff: 20.10.2023.

 

Zum Weiterlesen

Mit der populistischen Berufung auf das ‚einfache Volk‘ setzten sich die Sprachwissenschaftler:innen Thomas Niehr und Jana Reissen-Kosch auseinander:

  • Niehr, Thomas; Reissen-Kosch, Jana (2018): Volkes Stimme? Zur Sprache des Rechtspopulismus. Berlin: Dudenverlag.

Mit dem (ethnischen) Volksbegriff in der Programmatik der AfD beschäftigt sich der Historiker Michael Wild:

  • Wildt, Michael (2017): Volk, Volksgemeinschaft, AfD.  Hamburg: Hamburger Edition (Kleine Reihe).

Armin Pfahl-Traughber beschreibt die Suche der Neuen Rechten nach dem Volk: