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Schlagwörter: Gender, Genderwahn, trans

'Gender' und 'Transsexualität': Im rechten Online-Universum werden Feindbilder auf der Basis geschlechtlicher Kategorien konstruiert. Während die AfD sich eher an 'Gender' abarbeitet, richtet die Trollbubble ihre Energie auf 'Trans'-Themen. Einen Einblick in die Feindbildkonstruktionen und ihre ungleiche Verteilung innerhalb des rechten Diskursraums bietet dieser Artikel. Und gibt es eigentlich einen 'Feminismus von rechts'?

Kategorie: politisches Schlagwort (Lexik)


Verknüpft mit: An- und Enteignung, Hassrede


Diskurscommunities: AfD, Siff- und Trollbubble, bürgerlich-rechtes Lager


Version: 0.8 (22.10.2023), Überarbeitung 19.02.2024

Kurzüberblick

Die Ausdrücke 'gender' und 'trans' stehen im rechten Diskurs für sehr ähnlich gelagerte und miteinander verknüpfte Feinbildkonstruktionen: 'Gender' wird als eine 'Ideologie' linker und liberaler Eliten interpretiert und bekämpft, die einen Angriff auf tradierte Rollenverständnisse darstellt. Und ganz analog dazu wird in der Debatte um Transsexualität (und mit ihr verbundene politische Bestrebungen wie etwa die zur Schaffung eines Selbstbestimmungsgesetzes etc.) als Angriff auf die 'natürliche' Geschlechtsidentität selbst gezeichnet.

Häufigkeitsprofil

Politische Schlagwörter werden von unterschiedlichen politischen Communities mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet. Dies kommt typischerweise dann vor, wenn ein bestimmter Ausdruck die Weltanschauung oder die politischen Inhalte oder Ziele dieser Gruppe besonders passend oder prägnant ausdrückt. Es kann aber auch vorkommen, dass Ausdrücke, mit denen z.B. politische Gegner oder ihre Ziele und Anschauungen diskreditiert werden, häufig von einer Community verwendet werden. Je weiter außen der Graph bei einer Community steht, desto häufiger wird der entsprechende Ausdruck in dieser Gruppe verwendet. Genauere Informationen zu den verschiedenen politischen Communities und wie diese identifiziert wurden finden sich auf der Übersicht zur rechten Twittersphäre.

Das Frequenzprofil zeigt, dass beide Ausdrücke (und die mit ihnen verbundenen Themenfelder) im gesamten rechten Diskursumfeld regelmäßig vorkommen, dass die 'Interessen' in den unterschiedlichen Communities aber ungleich verteilt sind. So arbeitet man sich in der AfD und ihrem Umfeld (und ähnlich auch im bürgerlich-rechten Lager oder bei den Liberal-Konservativen) intensiv an 'Gender'-Themen ab und empört sich über die Verwendung von gendergerechter Sprache in Medientexten usw. Die Debatte um Transsexualität ist hier interessanterweise deutlich weniger präsent. Bei der Siff- und Trollbubble ist die Verteilung genau umgekehrt: Hier verwendet man viel Energie darauf, sich über Transthemen lustig zu machen (und vermeintliche Angehörige der Transcommunity zu konfrontieren), während die (ältere) Debatte über Genderthemen hier deutlich weniger Interesse erregt. Zugespitzt könnte man sagen: In jüngeren und radikaleren Zusammenhängen dominiert das Feindbild Transsexualität, während tendenziell ältere Akteursgruppen, die seriöser auftreten möchten, weiterhin Genderthemen fokussieren (womit auch unterschiedliche Konfrontationsformen einhergehen, siehe unten).

Kollokationen

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    Abbildung 1: Kollokationsprofil 'gender'

Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis in verschiedenen Kontexten und von unterschiedlichen Sprechergruppen mit anderen Bedeutungen verwendet. Um diese unterschiedlichen Gebrauchsmuster beschreiben zu können, ist das Umfeld aufschlussreich, in dem das untersuchte Wort vorkommt. Hierbei ist besonders relevant, mit welchen anderen Ausdrücken das untersuchte Wort besonders häufig (und statistisch überdurchschnittlich oft) gemeinsam verwendet wird. Diese häufige Verbindung zweier Ausdrücke nennt man in der Sprachwissenschaft Kollokation oder Kookkurrenz. Die unten stehende Tabelle zeigt die wichtigsten Kollokationen der Suchausdrücke sortiert nach Signifikanz, also danach, wie stark überdurchschnittlich die Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens ist. Grundlage ist unser User-Korpus, das die rechte Twittersphäre abbildet (genauere Informationen zu unserer Datengrundlage finden sich auf der Seite über das Projekt). 

Das Kollokationsprofil von 'Gender' zeigt zunächst, dass besonders akademische und wissenschaftliche Kontexte häufig genannt werden, wenn über 'Gender' gesprochen wird: die 'Gender-Studies' (1) (oder -'Science', 8) als Teil der 'Wissenschaft' (15) werden häufig erwähnt und es werden die (angeblich) vielen 'Gender-Professuren' (7) beklagt. Eine Nähe zu 'Postcolonial-Studies' wird hergestellt und Klischees über Gender-Student:innen (14) kolportiert. Der 'Gender-Pay-Gap' (2) ist häufig Gegenstand von Kontroversen, wobei seine Existenz zumeist bestritten wird.

Typische Verwendungsweisen

a) Offene Transfeindlichkeit

Wie bereits erwähnt, wird dem Thema Transsexualität besonders in der Siff- und Trollbubble große Aufmerksamkeit geschenkt. Hierbei finden andere Formen der Auseinandersetzung statt, als sie etwa bei Gender-Themen in der AfD oder dem bürgerlich-rechten Lager dominieren: Es zeigen sich weniger Empörungsroutinen (die bei Genderthemen im rechten Diskurs häufig zu beobachten sind), sondern häufiger Formen des Trollens und direkte Konfrontationen von transaktivistischen Accounts, die häufig vulgär sind und beleidigend sein sollen. Es handelt sich hierbei um typische Formen der Hassrede und Mobbing. Ein Beispiel stellt ein (in unzähligen Variationen geposteter) Reim dar, mit dem Trans-Personen offensiv beleidigt werden (siehe Screenshot 1)

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    Screenshot 1: gender

b) 'Feminismus' im rechten Diskurs

Feminismus ist im rechten Diskurs primär ein negativ besetzter Begriff. Feminismus gilt als Ursache von gesellschaftlichen Veränderungen, die für die meisten Rechten als Verfallsprozesse wahrgenommen werden (z.B. sexuelle Liberalisierungen (sieh unten), die Lösung von Menschen aus traditionellen Geschlechterrollen usw.). Auf der anderen Seite wollen viele Rechte kein altbackenes Geschlechterideal vertreten, das zurück in die Vergangenheit will (z.B. besetzt auch die AfD und die JA Vorstandsposten gerne paritätisch und trotz zahlenmäßig klarer männlicher Dominanz gibt es viele exponierte weibliche Stimmen in der Neuen Rechten). Auch z.B. Björn Höcke betont, dass er „alle berechtigten und sinnvollen Fortschritte der Frauenemanzipation“ befürworte und unterstütze (Höcke 2018:113). Gleichzeitig werden im rechten Diskurs die Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervorgehoben, womit andere gesellschaftliche und private Aufgaben für Männer und Frauen einhergingen und die durch die Gesellschaft nicht nivelliert werden dürften. So plädiert z.B. auch der Europaabgeordnete Maximilian Krah in seinem im rechten Diskurs stark rezipierten Manifest rechter Politik für die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Unter anderem aus einer unterschiedlichen IQ-Verteilung resultiere aber, dass es z.B. sowohl weniger Frauen in einfachen Tätigkeiten als auch in gesellschaftlichen Spitzenpositionen gebe. Die Anerkennung dieser 'Realität' sei typisch rechts, während die Linken u.a. mit Quoten versuchen, gegen 'die Wirklichkeit' anzukämpfen (vgl. Krah 2023).

In den Grenzen dieses traditionellen Geschlechterbildes gab (und gibt) es Versuche, den Begriff mit einem 'Feminismus von rechts' zu besetzen. Aufsehen erregt hatte 2017 in diesem Kontext die Kampagne „120dezibel“ der Identitären Bewegung, die eine verschärfte Sicherheitslage für Frauen durch die Migrationsprozesse seit 2015 behauptete. Positive Bezugnahmen auf den Begriff 'Feminismus' finden sich in unserem Untersuchungszeitraum indes kaum noch. Typisch für die Stellung des Feminismus ist Screenshot 2: Die Junge Freiheit kommentiert eine Stellungnahme von 'linken Künstlern' gegen einen geplanten Auftritt von Alice Schwarzer damit, dass deren „Verdienste um den Feminismus“ nicht mehr zählten, wenn sie sich dem „Gender-Unfug“ verweigere. Dies wird direkt kritisch kommentiert, da Feminismus „Zersetzungsarbeit“ sei, die Familien schwäche und zu niedrigen Geburtenraten führe. Auch die Ankündigung eines im Umfeld der AfD (bzw. der rechten Fraueninitiative „Lukreta“) organisierten „Frauenkongresses“ vermeidet den Begriff (Screenshot 3).

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    Screenshot 2: Feminismus
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    Screenshot 3: Feminismus

c) Neurechte Frauenbilder in Social-Media: Der 'Bodycount'

Ein Beispiel, das zeigt, wie (neu-)rechte Gesellschaftsvorstellungen in Social-Media-Kontexten aufgegriffen und anschlussfähig gemacht werden, stellt das Thematisieren des 'Bodycounts' dar: Der Ausdruck 'Bodycount' bezeichnet in militärischen Kontexten die Anzahl besiegter Gegner. Im übertragenen Sinne wird damit (primär bei Twitter oder TikTok) die Anzahl der bisherigen Sexualpartner einer Person benannt. Es wird darüber gesprochen, welcher Bodycount in welchem Alter wünschenswert ist oder als 'noch akzeptabel' angesehen werden kann. Dabei gilt nicht nur für rechte User (in Übereinstimmung mit im neurechten Diskurs verankerten traditionellen Gesellschaftsvorstellungen) ein hoher Bodycount als unehrenhaft und insbesondere bei Frauen als unattraktiv (siehe vor allem Screenshots 4, 7, 9, 10). Männer, die einen hohen Bodycount ihrer Partnerinnen akzeptieren, gelten als schwach ('Cucks', Screenshots 5, 6, 7). Personen mit hohem Bodycount werden als beziehungsunfähig angesehen (Screenshot 10) und eine hohe Anzahl an Partner:innen wird mit hohen Scheidungsraten in Verbindung gebracht. Promiskuität wird generell häufig als gesellschaftliche Verfallserscheinung betrachtet.  

Beim Sprechen über den Bodycount wird häufig zwischen den Geschlechtern unterschieden: Ein niedriger Bodycount wird besonders von Frauen verlangt, während gleichzeitig bei Männern viele Partnerinnen eher als akzeptabel oder sogar erstrebenswert gelten. Begründet wird das oft damit, dass es für Frauen leichter (beim Online-Dating) sei Sexualpartner zu finden, als für die meisten Männer (Screenshots 4, 7).

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    Screenshot 4: Neurechte Frauenbilder
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    Screenshot 5: Neurechte Frauenbilder
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    Screenshot 6: Neurechte Frauenbilder
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    Screenshot 7: Neurechte Frauenbilder
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    Screenshot 8: Neurechte Frauenbilder
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    Screenshot 9: Neurechte Frauenbilder
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    Screenshot 10: Neurechte Frauenbilder

Zitierte Literatur

  • Höcke, Björn (2018): Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig. Lüdinghausen und Berlin: Manuscriptum.
  • Krah, Maximilian (2023): Politik von rechts. Ein Manifest. Schnellroda: Antaios

 

Zum Weiterlesen:

Ein Dossier der Amadeo Antonio Stiftung informiert über den Antifeminismus der rechten Online-Subkultur:

Die Politikwisschenschaflerin Regina Wamper informiert darüber, wie „Geschlechtergleichschaltung“ als Kampfbegriff in der extremen Rechten funktioniert:

  • Wamper, Regina (2016): „Geschlechtergleichschaltung“. In: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe, Schwalbach: Wochenschau-Verlag.

Imke Schmincke informiert über aktuelle Kulturkämpfe des Rechtspopulismus über Sex, Gender und Vielfalt: